Musik als Zündfunken
FESTSPIELE / IGOR LEVIT
13/08/17 Politische Statements von glasklarer Aussagekraft stecken im ersten Festspielprogramm von Markus Hinterhäuser zuhauf. Bis in die Liederabende hinein reichen sie, drängen sich aber nicht propagandamäßig in den Vordergrund. So taucht mitten in der Reihe „Solistenkonzerte“ mit der Schärfe eines geschliffenen Schwertes ein hochpolitischer Abend mit Igor Levit auf.
Von Heidemarie Klabacher
Dass Napoleon sich sang- und klanglos auf die Insel Elba hat verbannen lassen, wollte seinen glühenden Verehrern einfach nicht in den Kopf. Seiner bitteren Enttäuschung literarisch Luft gemacht hat etwa Lord Byron, ein Dichter der englischen Romantik. Seine bitterbös ironische „Ode to Napoleon Buonaparte“ hat Arnold Schönberg seinem op. 41 für Sprecher, Klavier und Streichquartett zugrunde gelegt.
Mitglieder des Klangforums Wien, die Schauspielerin Dörte Lyssewski als Sprecherin und der Pianist Igor Levit – um dessen Solistenkonzert es sich am Samstag (12.8.) im Großen Saal des Mozarteums handelte – taten sich zusammen zu dieser großen Abrechnung mit Macht und Herrlichkeit, die nur in Nichts, Elend und Bedeutungslosigkeit endet. Dass Schönberg im Jahr 1942 mit diesem komplexen Gesamtkunstwerk aus Musik und Weltliteratur den unsäglichen Adolf, Spross des weiland Herrn Schicklgruber, brandmarken wollte, will man nicht glauben. Hier wird mit einem wahren gefallenen Helden abgerechnet, nicht mit einem Verbrecher.
Dörte Lyssewski gab mit wohl-timbrierten Alt dem bitteren Spott wohlklingende Stimme. Dass es einmal Menschen gegeben haben soll, die diesen hochkomplexen englischen Versen „einfach so“ folgen konnten, kann man sich kaum vorstellen. Für einzelne wenige Zeilen - „And Monarchs bowed the trembling limb And thanked him for a throne!” – reicht aber sogar gewöhnliches Schulenglisch, um die Bitterkeit nachvollziehen zu können. Gut weg kommt der Römer, der abzieht, wenn sein Blutdurst gestillt ist, der Spanier kriegt die volle Ladung an Verachtung ab, da er sich, nach geschlagener Schlacht an den Rosenkranz klammert. Und Österreichs „trauervolle Blume“ und späte „imperiale Braut“? „Ein Restchen Glück ließ dir ein gnädiges Geschickt…“ Wieso wird „uns“ dieser – fulminant geschliffene Zerrspiegel nicht öfter mal vorgehalten?
Ein eindrückliches Erlebnis – und trotzdem nur ein Auftakt. Denn es folgte eines weiteren Napoleon-Verehrers Werk: Beethovens 15 Variationen mit einer Fuge für Klavier Es-Dur op. 35 „Eroica-Variationen“. Igor Levit spielte das 1802 in Heiligenstatt, in einer depressiven Phase des Komponisten entstandene Variationswerk mit den unzähligen scheinbar disparaten Motiven als einen einzigen großen pianistischen Bogen, als eine ununterbrochene Folge hochgespannter Emotion: virtuos, blendend, gewalttätig, verzweifelnd.
Faszinierend, wie gut das zum Hauptwerk des Abends passte, zu Frederic Rzewskis „The People United Will Never Be Defeated!“ – Thema und 36 Variationen über das gleichnamige chilenische Revolutionslied. Das monumentale Variationswerk gehört in Igor Levits Notenkoffer, sei seit einigen Jahren geradezu sein „Signature Piece“, so heißt es im Programmheft. Das mehr als einstündige Werk umfasst fast alles, was klassische und zeitgenössische Klavierspielweise aufzubieten hat. Die hochvirtuosen Variationen führen in verrauchte Pianobars, auf Exerzierplätze, in friedvolle Musikzimmer, wo auch in gefahrvollen Tagen einmal über Kontrapunkt nachgedacht werden darf. Sie fordern den Pianisten zum Mit-Pfeifen oder zum Trommeln heraus. Einzelnen Nummern sind geradezu aberwitzig virtuos.
Igor Levit lässt mit seiner stupenden Technik immer wieder den Atem anhalten und staunen, was aus dem simplen Material für vielfältige Funken geschlagen werden. Funken, die eine Welt durchaus in Brand setzten können.
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli