„Is that all there is, my friend?“
FESTSPIELE / KASIMIR UND KAROLINE
12/08/17 „Vielleicht ist alles nicht so schlimm, wie jeder sagt.“ Der Satz taugte als Rätselfrage. Kommt er vor in Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“? Oder ist es eine aktuelle Utopie, „heutigen Menschen“ in den Mund gelegt, oder von solchen eingebracht?
Von Reinhard Kriechbaum
Solch „heutige Menschen“ – so Ödön von Horváth in einem Radiointerview – gehörten zwingend „zu einem heutigen Volksstück“. Damals, 1932, hatte er gerade „Kasimir und Karoline“ fertig. Die beiden New Yorker Theaterleute Abigail Browde und Michael Silverstone, unter dem Namen 600 HIGHWAYMEN seit einigen Jahren mit partizipativen Theaterprojekten bei internationalen Festivals auf vielen Kontinenten gut unterwegs, haben also wieder einmal heutige Menschen gecastet. Zwar hat unterdessen jedes einigermaßen engagierte städtische Theaterunternehmen seine Bürgerbühne, aber für die Salzburger Festspiele ist so etwas brandneu. Für ein paar (wenige) Premierenzuschauer auch, sie beendeten ihre Begegnung mit dieser Version von „Kasimir und Karoline“ vor der Zeit.
Die meisten anderen, heftig angefeuert von einer lautstarken Sympathisanten-Gruppe in der letzten Sitzreihe, haben dem eigenartigen Unternehmen artige Zustimmung nicht versagt. Der Premierenbeifall war aber enden wollend. Man hat in früheren Jahren, beim „Young Director's Project“ (so beiläufig und zufällig dieses im Einzelnen auch programmiert war) dutzendweise Notizwürdigeres am Ort gesehen.
Dreihundert Leute haben Abigail Browde und Michael Silverstone in Salzburg vorsprechen lassen, 23 sympathische Kerle/Kerlinnen sind es geworden. Gut reden können die meisten, Festspiele arbeiten auch in der Schmuddelecke mit Perfektionsbewusstsein. Im Großen Studio der Universität Mozarteum hat man die kommoden Sitze durch Holzbänke ersetzt. Die 95 Minuten sollen nicht zu gemütlich sein (und ein paar Leute mehr reinpassen).
Die „heutigen Menschen“ auf dem weiten leeren Spielraum mit hölzerner Bande (wirkt wie ein eckiger Eislaufplatz): Das sind etwa zur Hälfte deutschsprachige Schauspielstudenten, ein paar Salzburger Schüler, einige wenige Vorzeige-Alte mit Laientheater-Erfahrung und ein paar Ausländer. Acht Leute teilen sich den Kasimir-Part, eben so viele mehrheitlich junge Damen sind Karoline. Damit man sich auskennt, sagen sie immer ihren Namen und erklären ihre Handlungen, indem sie von sich zuerst in der dritten Person reden. Im günstigen Fall schicken sie einen Satz in direkter Rede nach. Anderswo dramatisiert man Romane – hier wird ein echtes Stück zu einem papierenen Krampf. Es fallen so kluge Sätze wie „Wir sind alle nur das Ergebnis unserer Umwelt“ oder „Ich hätte gerne eine Zukunft, die besser und vorteilhafter ist als das hier“. Oder, gesungen: „Is that all there is, my friend?“ Und ur-optimistisch: „Ich werde mein Leben auf die Reihe bringen.“
Generationen von Theaterbesuchern haben mitgelitten mit dem arbeitslos gewordenen Chauffeur Kasimir (O-Ton hier: „Was ist armseliger als ein Scheißchauffeur? Ein arbeitsloser Chauffeur!“) Sie haben Daumen gehalten seiner Braut Karoline, die bloß ein Eis und Achterbahn fahren will, sonderbare Männerbekanntschaften schließt und ohne es zu wollen vom sauertöpfischen Kasimir weg driftet. So schwer wie mit dieser 95 minütigen Plattitüdensammlung wurde es ihnen vermutlich selten gemacht. Auch wenn die Typen, die da sich hintereinander ablösen als Kasimire und Karolinen, so ausschauen wie jene, die sich ums Eck auf der Straße gerade auf ein Eis anstellen. Mit der Figur des Franz, den die wirtschaftliche Arbeit zum Kleinganoven macht, hielte Horváth eine farbige, subversive Nebenfigur bereit. Einer der Franzen hier hat eine Tätowierung am Oberarm. Mehr Outlaw ist nicht drin. Ein Franz trägt Lederhose, ganz frei vom Sound-of-Music-Klischee sind auch 600 HIGHWAYMEN nicht.
Der Vollständigkeit halber: Für die erste Viertelstunde haben die beiden Regisseure ihren Darstellerinnen und Darstellern eine eigenwillige Gesten-Choreographie vorgeschrieben, die aber versandet. Das Musik-Environnement von Brandon Wolcott, immer dezent im Hintergrund, brodelt latent-bedrohlich und enthält Fetzen von Jahrmarktsmusik („Kasimir und Karoline“ spielt auf dem Oktoberfest). Der Tanz spielt eine Rolle in der Aufführung, als Entr'acte in der Gruppe, öfter als Bewegungschoreographie der Vereinsamung. Das sind letzten Endes aber lauter Versuche, durch stilistische Überformung von der sagenhaften Banalität abzulenken.
Fazit: So blutleer war noch selten eine Ödön-von-Horvàth-Aufführung. Mit ihrem Gruppennamen 600 HIGHWAYMEN suggerieren Abigail Browde und Michael Silverstone Bewegung, Dynamik. Über eine harmlose, statische Szenenfolge ohne rechte Bild-Imagination sind sie in Salzburg nicht hinaus gekommen. Und die Horváth-Paraphrase, vom Original ins Englische und zurückübersetzt, klingt wie eine Vorabend-Soap-Opera. So heutig wie nur.