Reiselust, Entdeckerdrang
FESTSPIELE / GRUBINGER, OENM, RUNDEL
12/07/17 Musikrituale in der Kollegienkirche mit Martin Grubinger, The Percussive Planet Ensemble und dem oenm unter Peter Rundel: Zeit (nicht nur) mit Grisey, am Freitagabend (11.8.).
Von Erhard Petzel
Zwei Tribünen beim Kircheneingang, weitere zwei im Querschiff, darauf malerisch aufgebaut jeweils eine Batterie Schlagwerk, ein Gong in der Mitte als Assoziation zu einem Sonnen-, Mond oder Planetenkult: Das wird als Szenario mit zusätzlich zwei Schlagwerken im Altarraum am Schluss des Konzerts mit Gérard Griseys „Tempus ex machina für sechs Schlagzeuger“ genutzt. Auf diesem Percussive Planet leitet Grubinger mit dumpfen Metrumgruppen auf der Cassa, die schließlich grob zerhackt werden, kreisende Klangeruptionen seines Ensembles ein.
Die Spannung entwickelt sich nicht nur aus dem Klangraum in der Zeit, der in dieser Kirche sein optimales Entwicklungsorgan und in den Musikern seine athletischen Performer findet, es ist das Spiel zwischen synchronem Eingehen aufeinander und asynchronen Polymorphien, das die innere Struktur unter den annähernd schmerzgrenzig bis zu exzessiven Klangkaskaden geführten Gesamtbau erhält.
Grubinger reagiert auf den reichen Applaus mit einem Angebot: Da Grisey mit „Le noir de l’etoile“ zehn Jahre hernach eine Fortsetzung des Werkes für nämliche Besetzung herausgebracht hatte, spielt das Ensemble dieses als Draufgabe, da ohnehin alles dafür aufgebaut sei. Ein Musterbeispiel für nachhaltiges Musizieren. Das flimmernde Wummern eines Pulsars wird zu den Klangakten der Musiker eingespielt. Die verabschieden sich mit einem Schlag auf ein Totenglöckchen, das extra in der Kirchenmitte aufgestellt wurde, bevor der Pulsar in dieser Abschiedssinfonie allmählich verstummt.
Das Programmheft fasst das ereignisvolle Geschehen davor unter den Prämissen von Reiselust und Entdeckerdrang zusammen. Den Beginn setzt Grubinger mit Iannis Xenakis‘ „Psappha für Schlagzeug solo“. Antiker Bezugspunkt dazu wäre die rhythmische Variationsarbeit der Dichterin Sappho. Aus dem Dialog zwischen Felltrommeln und Holzblock erwächst ein an Schlagimpulsen reduzierter Mittelteil von Cassa und Minitom, bevor es ins Volle samt Mülldeckel und Waschmaschinentrommel geht und für das fulminante Finale ein Homo technicus als Retter der abdriftenden Fußmaschine zur Bassdrum einspringen muss.
Ganz ohne Schlagwerk kommt „Zipangu für 13 Streicher“ aus. Claude Vivier reflektiert darin seine Faszination für Marco Polo und imaginiert eine fiktive Reise nach Japan (Zipangu). Die elekronisch bestückten Streicher zerbrechen ihre zunächst über einen Orgelpunkt aufgebauten Klanginseln mit Verzerrung über Tremoli und Kratzkaskaden. Die Motive erinnern teilweise an sinfonisch knarrende Türen. Violinsolo und Cello-Duett, Möwenpfiffe in den Bratschen sind Stationen, bevor die Violinen wieder vom Orgelpunkt unterfüttert werden und schließlich über ein Basstremolo ins Finale münden.
Kommt hier die Naturtonleiter auch zur Anwendung, ist sie in Georg Friedrich Haas‘ „Open Spaces für zwölf Streichinstrumente und zwei Schlagzeuge“ Kompositionsgrundlage, worauf die Stimmung der Instrumente ausgerichtet ist. Das Schlagwerk verstärkt die Klangräume der Streicher und konturiert sie. An- und Abschwellen und das Spiel mit Panoramawirkung tragen über weite Strecken die Klang-Landschaft aus diversen Artikulationsideen, bis gestrichenes Schlagwerk den Schlussakkord einleitet.
Das oenm unter dem umsichtigen Dirigat Peter Rundels erweist sich als kongenialer Klang-Partner zu den Schlagwerkern, die gemeinsam ein beglückend rundes, abwechslungsreiches und dennoch beziehungsvolles Programm anboten. Zu ergänzen wäre noch „Six Japanese Gardens für Schlagzeug und elektronische Instrumente“ von Kaija Saariaho, das Martin Grubinger ein Höchstmaß an Konzentration abverlangt, um das oft sehr feinnervige Verhältnis von Spieler und elektronischem Partner zu verschränken. Wie diese Musik ein gemeinsames Schwingen ermöglicht, zeigt ein Huster, der sich nahtlos in das fade out des Schlusses einfügt.