Engel mit Zähnen und Klauen
FESTSPIELE / CURRENTZIS / MUSICA AETERNA
11/08/17 Teodor Currentzis und sein Orchester musicAeterna of Perm Opera verändern mit jeder ihrer Interpretationen ein klein wenig, aber nachthaltig, die weitere Sicht auf Werke des „klassischen“ Repertoires. Das war jüngst der Fall mit dem Mozart-Requiem und wiederholte sich nun mit der „Ersten“ Mahler und mit Alban Bergs Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ mit Patricia Kopatchinskaja als kongenialer Partnerin für querdenkerisches Musizieren.
Von Heidemarie Klabacher
Der zu erinnernde „Engel“ in Bergs 1936 uraufgeführtem Konzert ist die mit 18 Jahren an Polio verstorbene Manon Gropius, Tochter Alma Mahlers aus ihrer Ehe mit Walter Gropius – vom befreundeten Ehepaar Berg geliebt wie eine Tochter. Ohne diesen Hintergrund wäre das Werk wohl tatsächlich nicht genau so ausgefallen, hat doch die Tragödie dem Komponisten den letzten Anstoß zu einem schon länger geplanten Violinkonzert gegeben. Längst bewegt das Werk ohne diesen Hintergrund. Es fasziniert als Dokument einer längt etablierten Moderne, durch die die „wienerische“ Vergangenheit durchschimmert, wie durch Marienglas. Also nicht „verklärend“ oder „verklärt“, sondern als freundliche, aber bewusst Abschied signalisierend e Geste. Bergs Meisterwerk ist Äonen von Folklore entfernt.
Und gerade deswegen sind die vorüberhuschenden Zitate – Volkslied, Walzer, Bachchoral – so bewegend. Sie wirken wie der Abschied im „Lied von der Erde“: „Er fragte ihn, wohin er führe. Und auch warum es müsste sein…“ Der Abschied von Walzer & Co musste nicht nur sein, er war zu diesem Zeitpunkt längst vollzogen. Die glasklare Interpretation von Teodor Currentzis und seinem Orchester musicAeterna of Perm Opera machte das umso deutlicher, als gerade diese „Zitate“ mit äußerster Sachlichkeit und Transparenz musiziert wurden. Ein Currentzis biedert sich nicht an. Eine Kopatchinskaja auch nicht: Energieschübe wie Vulkanausbrüche sind ihr Ding, das sie nicht selten mit kräftigem Fußaufstampfen unterstreicht. Barfuß geht das – und hat hörbaren perkussiven Effekt. Aufschrei, Kampf und Tod im zweiten Satz gingen ins Mark.
Vergleichbar war Currentzis‘ Zugang zu Gustav Mahlers Symphonie Nr. 1 D-Dur. Die Eröffnung „Wie ein Naturlaut“, war ätherisch flirrend, kaum von dieser Welt, so leise. Im zweiten Satz, sofern nicht deftig, tanzten Walzer und Landler einen ironischen Reigen: Das Marienglas wurde zum Zerrspiegel. Raffiniert böse! Fast bösartiger, als der ohnehin ironisch konzipierte „Trauermarsch“: Dieser mutierte unter den Händen von Theodor Currentzis zu einer Filmmusik für Emir Kusturica. Fanfare Ciocarlia nixdagegen.
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli