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Nacktszene im Fratazza

FESTSPIELE / LESUNG EDITH CLEVER

11/08/17 Noch immer gibt es Menschen, die Edith Clever nicht zugehört haben, wenn sie die Novelle „Fräulein Else“ von Arthur Schnitzler vorliest. Dies obwohl die Schauspielerin diesen Stoff schon über dreißig Jahre in ihrem Repertoire hat. Aber es wachsen eben neue Generationen nach, und die sollen auch in den Genuss dieser ausgefeilten Rezitation kommen.

Von Werner Thuswaldner

Damals, in den 1980er Jahren, machte Hans-Jürgen Syberberg mit Edith Clever etliche Videoaufnahmen literarischer Monologe, darunter eben auch das „Fräulein Else“. In Syberbergs „Parsifal“-Verfilmung – vielleicht erinnern sich noch manche daran – spielte sie in dieser Zeit tatsächlich die Kundry. Das nur nebenbei.

Ein Video von „Fräulein Else“ mit der lesenden Edith Clever entstand 1986 im Theatre de

l'Europe, im Odeon in Paris. Seither ist sie damit weiß Gott wo überall aufgetreten. Inzwischen ist der Ruhm dieser Interpretation bis nach Salzburg gedrungen, „Fräulein Else“ wurde von den Festspielen entdeckt und war am Mittwoch im Landestheater zu erleben.

Fräulein Else ist 19 Jahre und stammt aus der höheren Wiener Vorkriegs-Gesellschaft. Sie ist schön, weiter nichts. Aber das genügt, um in tiefstes Unglück zu stürzen. Mit ihrer Familie ist es nicht weit her. Der Vater, Rechtsanwalt, spielsüchtig, die Mutter dumm.

Else macht Urlaub in den Dolomiten an der österreichisch/italienischen Grenze. Damals standen dort einige Grandhotels wie San Martino di Castrozza und Fratazza. Im Fratazza hat Schnitzler die Handlung angesiedelt. Dieses Hotel wurde wenig später ebenso wie die anderen nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs von den zurückweichenden österreichischen Truppen angezündet und gesprengt. Als Schnitzler Mitte der 1920er Jahre darüber schrieb, waren dabei ganz gewiss Wehmut und das Bewusstsein einer untergegangenen Welt im Spiel. Edith Clever hatte übrigens, als sie den Text 1986 im Pariser Theater las, so wird erzählt, einen Stein aus den Grundmauern des Hotels Fratazza auf dem Tisch liegen.

Edith Clever, Jahrgang 1940, war schon damals ein wenig älter als das literarische Fräulein Else und ist es heute selbstredend noch ein bisschen mehr, das aber beeinträchtigt ihre Art, wie sie der jungen Frau für deren inneren Monolog ihre mädchenhaft gebliebene Stimme leiht, kein bisschen.

Schnitzler lässt schon gleich nach Beginn die zwei grundlegenden Motive anklingen: Todesgedanken und das Spiel mit erotischem Potential. Else ist sich ihrer verführerischen Qualitäten bewusst und kann sich vorstellen, sie einzusetzen. Etwa gegenüber einem hübschen Italiener. Bald hat sie Gelegenheit dazu, doch anders als in ihren Tagträumen. Elses Vater hat Mündelgeld veruntreut und soll ins Gefängnis, wenn er nicht binnen kurzem 30.000 Gulden auf den Tisch legen kann. Das sind nach heutiger Währung rund 300.000 Euro. Später erhöht sich dieser Betrag auf 50.000 Gulden. Else soll den ebenfalls im Fratazza logierenden, mit der Familie lose befreundeten Kunsthändler Dorsday bitten, die Summe vorzustrecken. Der alte Lüstling erklärt sich dazu bereit, unter der Bedingung, Else eine Viertelstunde nackt sehen zu können. Durch diese entwürdigende Forderung gerät Else in äußerste Bedrängnis.

Edith Clever lässt ihr Publikum mit reich ausdifferenzierter Stimmführung die Geschichte durchleiden. Wenn es im Text heißt, dass Else schreit, dann schreit die Schauspielerin und wenn es heißt, sie weint, dann fließen prompt die Tränen. Eine Bravourleistung! Dafür nimmt man es auch in Kauf, dass Schnitzler den Schluss, Elses allmähliches Verdämmern unter dem Einfluss von Veronal, gehörig in die Länge gezogen hat.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

 

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