Stilvoll leiden und sterben am Nil
FESTSPIELE / AIDA
10/08/17 Du sollst dein Heil nicht in die Hände religiöser Fanatiker legen. Das ist die Lehre, die aus der bejubelten „Aida“ im Großen Festspielhaus zu ziehen wäre. Die ägyptischen Priester von Isis, Ptah & Co. schauen aus, wie orthodoxe Geistliche. Sie könnten auch im safrangelben Gewand als buddhistische Mönche daherkommen oder im Habit militant-nationalistischer Franziskaner.
Von Heidemarie Klabacher
„Sonst“ sind keine großen Erkenntnisse zu gewinnen aus der Regie der im Iran geborenen Künstlerin und Filmemacherin Shirin Neshat. Aber das ist nicht wenig. Für die Pharaonentochter Amneris, der Ekaterina Semenchuk ihre glanzvolle Sopranstimme und ihre facettenreiche Ausdruckkraft leiht, kommt die Erkenntnis zu spät. Ihre Eifersucht hat Radames in die Fänge der Priester getrieben: Der vergeblich Geliebte stirbt in den Armen ihrer Rivalin Aida lebendig eingemauert den Liebestod. Amneris bleibt verzweifelt zurück: „Ich selbst habe ihn ihrer Macht ausgeliefert … Selbst Blut ist ihnen nicht genug, und sie nennen sich Diener des Himmels.“ In diesen wenigen Zeilen liegt die ganz Sprengkraft des Librettos. In unseren Tagen wiederaufflammender „Religionskriege“ sollte das erschüttern.
Nun, erschüttert hat diese Aida nicht.
Das Bühnenbild von Christian Schmidt besteht aus einem überdimensionalen und raffiniert wandelbaren Hohlwürfel. Die beiden Hälften auseinandergeklappt ergeben etwa das Podium für die Obrigkeit zum Abnehmen des Triumphmarsches, schräg gegeneinander verschoben bilden sie diverse Palastmauern oder ein königliches Kai am Nil (besonders schön mit den Wellen-Projektionen im Mondlicht).
Frontal gegen die Rampe ausgerichtet mit einem schmalen Gang dazwischen erinnert das an Gassen zwischen Gräbern und Palästen, Prozessionswege oder auch implizit an die Gänge, die in die Tiefen der Pyramiden führen. Geschlossen ist der Würfel zuerst von „außen“ die Gerichtshalle, aus der der bedrohliche Dreifach-Ruf „Radames“ zu Amneris heraus tönt, dann dreht sich der Würfel auf der Drehbühne und man erblickt „innen“ das Grab, in dem die Geliebten sterben werden.
All das ist streng geometrisch und zugleich faszinierend bildkräftig, aufgrund der Bilder im Kopf, die diese Nüchternheit erlaubt. Oberirdisch ist keine Pyramide und auch sonst kein Altägypten-Kitsch zu sehen. Das einzige was entfernt etwa an Darstellungen auf Grabfresken erinnert, ist die Silhouette der Uniformen der Ägypter oder die Gewänder der Edlen Ägyptens, während die (Chor-)-Damen in neutralem Silber auftreten.
Die Kostüme er Solistinnen sind stilistisch ebenfalls eher neutral, die Kostümbilderin Tatyana van Walsum hat aus feinsten Stoffen viel-lagige wallende Hüllen entworfen, die effektvoll hinter Amneris und Aida herflattern. Die Königstochter wechselt ihr jeweils fast gleich geschnittenes Gewand von Eifersuchtsgelb über Racherot bis zu Hochzeitsweiß und Trauerschwarz mehrmals, Aidia bleibt in Sklavengrau. Auch das sind anregende und hoch ästhetische Bestandteile dieser wohltuend und im besten Sinne „modernen“ Produktion.
In den Premieren-Besprechungen – DrehPunktKultur kam in den Genuss der zweiten Aufführung – war da und dort von „Rampensingen“ die Rede. Tatsächlich ist man versucht, von einer enorm aufwändig ausgestatteten bestenfalls halb-szenischen Aufführung zu sprechen: Das abstrakte hochstilisierte und so überaus elegante Setting schlägt sich bis auf die Personenführung durch. Die grandiosen Sängerinnen und Sänger sind – rein darstellerisch – in kaum einem Augenblick mehr als Rollen-Träger. Zu „Herzen“ gehen will nicht einmal das Sterben der Liebenden.
Auch die „Flüchtlinge“, die als Video an die Zyklopenmauern projiziert werden und später als Gefangene Äthiopier tatsächlich auftreten, wirken verflixt stylisch. Genauso stellt man sich Flüchtlinge in einer Hochglanz-Festspiel-Produktion vor – und das hilft der Wahrhaftigkeit nicht auf. Da wollte wer das Publikum schonen.
Aber alles egal. Denn vor allem wird gesungen. Die wunderbare Amneris von Ekaterina Semenchuk wurde schon erwähnt: Jeder Ton trifft zumindest die Herzen der Zuhörer ins Herz, wenn schon nicht das Herz des Radames: Francesco Meli brilliert als Held Ägyptens einmal mit großer Linie und strahlendem Klang. All der Schmelz dieser Stimmer gehört einer Einzigen, der holden Aida, mit der Anna Netrebko sich eine weitere Traum- und Paraderolle erschlossen hat. Eine Rolle, wie komponiert für den bronze-dunkler gewordenen Klang ihrer immer noch reicher timbrierten Stimme.
Der König von Ägypten hat nicht viel zu singen, was er singt gestaltet Roberto Tagliavini ausdrucksvoll. Stimmlich souverän und darstellerisch mit eine würdevollem Gestus zum Fürchten ist Dmitry Belosselskiy als Hoherpriester Ramfis. Luca Salsi singt Amonasro, Aidas Vater und König der Äthiopier: Mit seinem Auftreten wird aus der vornehm zurückhaltenden Szene für kostbare Momente glutvolles Musik-Theater. Das war wohltuend.
Riccardo Muti am Pult der Wiener Philharmoniker zündete loderndes Orchesterfeuer mit unzähligen geradezu kammermusikalisch feinen Momenten. Eine besondere Verneigung vor der – in „Aida“ vielbeschäftigten Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Riccardo Muti legte den facettenreichen Grund, für die Best-Leistungen der Sängerinnen und Sänger. Sprich: Er hat sie auf Händen getragen. Darum sage niemand was gegen Rampen-Singen, wenn Netrebko, Meli, Semenchuk und Co sich ganz auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und - fast zum Greifen nah - ihr Publikum betören dürfen.