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Drama und Kabinettstück zugleich

FESTSPIELE / KÜNSTLERGESPRÄCH / WOZZECK

07/08/17 Als Bergs Wozzeck 1951 zum ersten Mal auf dem Spielplan der Salzburger Festspiele stand, gab es einen Riesenkonflikt im Direktorium. Drer Kartenverkauf lief so schlecht, dass PR angesagt war. So verbreitete man das Gerücht, Marlene Dietrich säße im Publikum.

Von Anne Zeuner

Dessen ungeachtet wurde der „Wozzeck“ damals unter Karl Böhm ein künstlerischer Erfolg und als „Sieg der Moderne über das Museale“. Dieser Salzburger Erstaufführung in der Regie von Oscar Fritz Schuh folgte 1971 und 1972 eine Neuproduktion bei den Salzburger Festspielen, ebenfalls unter Karl Böhm und in der Regie von Gustav Rudolf Sellner, sagte kürzlich Margarethe Lasinger, die Leiterin der Dramaturgie und Moderatorin eines TerrassenTalks.

Vor zwanzig Jahren schließlich folgte die maßgebliche Interpretation von Claudio Abbado und Peter Stein in Salzburg, an die sich auch der Dirigent der bevorstehenden Festspielaufführung, Vladimir Jurowski, noch erinnert. „Diese Aufführung ist mir unvergesslich in Erinnerung – ich habe sie später in Berlin in einer halbszenischen Inszenierung gesehen“, sagt der Dirigent. „Aber natürlich bin ich in der Sowjetunion auch mit der Böhm-Aufnahme groß geworden.“ Es sei ihm eine große Ehre nun mit diesem großartigen Team am Stück zu arbeiten.

Wie er mit der sehr dichten Struktur der Oper umgehe? „Berg hat mit einer erstaunlichen Detailpräzision komponiert. Die Oper dauert nur anderthalb Stunden, keine Szene dauert länger als sechs, sieben Minuten“, erklärt Vladimir Jurowski. Es sei gleichzeitig Drama und Kabinettstück. Als Dirigent müsse man sich irgendwann für eines entscheiden, sagt er, die große Spur oder eben beim Kleinen zu bleiben. „Die Oper ist nicht leichter geworden in den letzten 100 Jahren“, versichert Jurowski. „Man muss versuchen die Struktur so klar wie möglich darzulegen – als sei es Mozart! Aber man darf auch nicht vereinfachen. Berg hat die schönen Melodien, die Zeitgenossen nicht haben. Aber er hat eben auch noch mehr.“

25 Jahre ist es her, als William Kentridge die erste künstlerische Begegnung mit Büchners Woyzeck hatte und dieses Dramenfragment inszenierte. Später hat er Bergs Lulu inszeniert. „Ich habe mich quasi kreisförmig an den Wozzeck angenähert“, sagt der Künstler. Wie er die Vorahnungen Wozzecks in seiner visuellen Sprache verarbeite? „Ich finde es wahnsinnig faszinierend, was Büchner in den 1830er Jahren schreibt – da ist die Rede vom Himmel, der bedrohlich wirkt, von Landschaften voller geköpfter Menschen – all das wurde 80 Jahre später während des Ersten Weltkrieges Wirklichkeit“, sagt William Kentridge.

Seine Kohlezeichnungen werden dafür auf das Bühnenbild projiziert, sie werden umgemünzt in Wozzecks Visionen einer Katastrophe. Die Psychoanalyse der Figuren stehe bei ihm nicht im Vordergrund, denn das finde sich sowieso in der Musik und den gesanglichen Darbietungen, sagt er. „In der Winterreise, die ich mit Matthias Goerne und Markus Hinterhäuser mache, ist es ähnlich: Es geht um Unschuld, um Staunen, aber auch um Wut und Entschlossenheit – diese ganze Bandbreite habe ich bei Matthias Goerne gefunden, von Gewalt bis Sanftmütigkeit“, so der Regisseur und bildende Künstler, dem auch eine Ausstellung im Museum der Moderne gewidmet ist.

Die Titelrolle singt Mattias Goerne. Auch wenn er die Rolle schon mehrfach gesungen habe – bei jeder neuen Inszenierung weite sich der Horizont weiter aus. „Natürlich bleibt das Stück das Stück und die Handlung die Handlung – aber die Oper hat den Menschen bzw. die Menschheit im Visier und diese kann verschiedene Schattierungen annehmen“, sagt Matthias Goerne. Durch die große Präsenz der Kunst von William Kentridge offenbare sich ihm eine vollkommen neue Erfahrung.

Der Wozzeck sei eine besonders herausfordernde Partie, stimmlich wie körperlich, aber eben auch psychisch. Wie er umgehe mit den Umgängen von Sprechgesang und expressivem Gesang? „Für mich ist das vor allem eine Frage der Musikalität“, sagt Matthias Goerne. Die Spannweite beim Wozzeck sei riesig. Es brauche feinste Abstimmung zwischen dem Sprechen auf einer gewissen Tonhöhe und mit einem bestimmten Rhythmus, dann der abrupte Wechsel zum Halbgesungenen bis hin zum Singen. „Ich denke meine Erfahrung als Liedsänger hilft mir hier enorm“, erklärt der Bariton.

„Wozzeck“ hat morgen Dienstag (8.8.) Premiere, Aufführungen bis 27. August im Haus für Mozart – www.salzburgerfestspiele.at
Bild: Salzburger Festspiele / Anne Zeuner
Zum DrehPunktKultur-Bericht über die Ausstellung William Kentridge im Museum der Moderne:
So geht politische Kunst

 

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