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In der Kirche der Musik

FESTSPIELE / ZEIT FÜR GRISEY / KLANGFORUM WIEN

04/08/17 Die Kollegienkirche ist einer der zentralen Orte der Festspiele. Vor allem dann, wenn es um neue Klänge geht. Die durchsichtige Akustikdecke lässt den Blick hinaufschweifen zur Kuppel. Das Neue? Gérard Grisey ist seit 19 Jahren tot.

Von Gottfried Franz Kasparek

Die Stücke, die das formidable Klangforum Wien am Donnerstag (3.8.) auf den Pulten und neben der Tonanlage hatte, stammen aus den 1980er-Jahren. Der französische Spektralismus ist längst Musikgeschichte. „Das Hineinhorchen in das Innere des Klangs“ ist zum Stehsatz geworden. Das Ergebnis von Griseys Horchen lässt Vorbilder wie Wagner und Debussy erkennen – ja, die passen im Rückblick ganz gut zusammen – und kommt dennoch ohne jeglichen Eklektizismus aus. Wenn man bei Neuer Musik bezaubert, sogar verzaubert sein kann, dann hier. Spiritualität trifft auf eine berückende Klangsensibilität, die sehr wohl französisch genannt werden kann. Die von des Gedankens Blässe angekränkelte Klangzerlegung, die manch deutsche, hier ungenannte Zeitgenossen Griseys praktizierten, verblasst neben dieser Intensität. Da wird in der Tat zum Raum die Zeit.

Auf den Pulten lagen „Jour, contre-jour“ für elektronische Orgel, 13 Musiker und Vierspur-

Tonband. Aus dem Nichts kommt ein Ton und steigert sich ins Kosmische. Grisey liebte nicht nur die Mathematik, sondern viel mehr noch die Natur, die Gesänge der Wale und, in kreativer Messiaen-Nachfolge, der Vögel. Elektronik wird nie zum Selbstzweck, sondern ist ein Instrument neben den anderen. Für die Einbindung sorgten perfekt Peter Böhm und Florian Bogner.

Naturstimmungen stehen wohl auch hinter den Miniaturen für 2 Hörner, welche die beiden Teile des Konzerts einleiteten – höchst virtuos und klangrein spielten diese Kleinode Christoph Walder und Reinhard Zmölnig. Am Ende dann „Le Temps et l’écume“ für vier Schlagzeuger, zwei Synthesizer und Kammerorchester. Die Zeit und der Schaum, so heißt das auf Deutsch. Der Schaum, aus dem Venus stieg? Wie auch immer, wieder singen die Fische und die Vögel und dazwischen die Menschen, die sogar zu kleinen Melodien finden. Darunter schlägt, mystisch trommelnd, der Pulsschlag des Lebens.

Das Klangforum Wien ist natürlich ein in jeder Position brillantes Ensemble dafür und Peter Rundel der vollendete dirigierende Sachwalter. Zu Grisey kamen zwei Seelenverwandte. Im ersten Teil „Natura renovatur“ von Giacinto Scelsi, eine mikrotonale, aber dennoch belcantesk schwelgende Streichermusik. Scelsis Kommentar zur Uraufführung 1969 sollte man jedem Komponisten, ja überhaupt Musik studierenden Menschen als verpflichtendes Motto mitgeben: „Ich erkläre, dass ich Musik traditionell als menschlichen Ausdruck und esoterisch als Erkenntnismittel betrachte.“

Im zweiten Teil erklang ein viel gespieltes Werk des Grisey-Weggefährten Tristan Murail, „L’Esprit des dunes“ für elf Instrumente und Synthesizer. Die farbenreich schillernde Wüstenlandschaft wirkt in der direkten Nachbarschaft zu Grisey fast ein wenig handfest, ein wenig kunstgewerblich. Grisey war ein Aquarellist und Feinzeichner, Murail ist mehr ein Freskenmaler. Doch dies hat in der großen Kirche der Musik natürlich auch einen angemessenen Platz.

Hörfunkübertragung am 8.8. um 23.08 Uhr, Ö1 (Zeit-Ton)
Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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