Österreich gegen Preußen
FESTSPIELE / DER MANN OHNE EIGENSCHAFTEN / LESUNG
02/08/17 Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ wurde in einer ausgiebigen Lesung im Landestheater zu Gehör gebracht. Nicht alle Lesenden haben alle Namen der Romanfiguren beherrscht - dennoch war der Marthon eine sehr gute Anregung, den Wälzer wieder einmal zur Hand zu nehmen.
Von Werner Thuswaldner
Der dicke Band aus dem Rowohlt Verlag steht im Bücherregal vieler Haushalte. Oft ist der Zustand des Buchs ausgezeichnet, weil der Besitzer über die ersten hundert Seiten nicht hinausgekommen ist. Die Situation ist daher fast ideal zu nennen: Anstatt sich mit Mühe in Robert Musil Mammutwerk, „Der Mann ohne Eigenschaften“, hineinzuarbeiten, lässt man es sich vorlesen. In einem kühlen Theaterraum und inmitten vieler anderer, die dem gleichen Genuss auf der Spur sind. Umso besser, wenn die Vorleserinnen und Vorleser in ihrem Fach sehr gut sind.
An der Marathonlesung der Festspiele am Dienstag (1.8.) von sechs Uhr abends bis halb zwei Uhr morgens - im Landestheater waren vierzehn Schauspielerinnen und Schauspieler beteiligt, Damen und Herren, die zur Zeit auf verschiedenen Bühnen in Salzburg beschäftigt sind. Natürlich war das keine Gesamtpräsentation des Romans, aber doch eine Textmenge, die für ein Kennenlernen des viel gelobten Buchs halbwegs ausreicht.
Wieviel sagt einem jüngeren Publikum von heute Musils Rückblick auf das alte Österreich und seiner Gesellschaft mit dem greisen Kaiser an der Spitze heute noch? Tatsächlich liegt uns dieses seltsame Gebilde, in dem der Adel und das Militär die größte Rolle spielten, fern. Der kurze Rückschluss von heute auf damals ist unangebracht. Das Restösterreich von heute ist etwas ganz Anderes.
Aber Musil erzählt, jederzeit zu scharfer Analyse aufgelegt, so, dass diese Vergangenheit nicht verklärt wird, ihre Schwächen und Seltsamkeiten liefern reichlich Stoff für feinsinnige Satire. Die Erfindung der „Parallelaktion“ ist gewiss eines der schönsten literarischen Motive des vorigen Jahrhunderts: Mit der Feier des 70. Thronjubiläums Kaiser Franz Josephs im Jahr 1918 wollten die Spitzen der Monarchie, Demütigungen in der Vergangenheit rächend, Preußen in den Schatten stellen. Denn die Preußen würden mit dem dreißigjährigen Thronjubiläums ihres Kaisers nicht mithalten können.
Zu diesem „Wettbewerb“ passte es, dass die Vorlesenden teils mit „preußischer“, teils mit österreichischer Diktion ans Werk gingen. Ihre Interpretationen fielen recht unterschiedlich und nicht durchwegs zufriedenstellend aus. Ist der von Schauspielchefin Bettina Hering verantwortete Abend geprobt worden? Sich auf eine einheitliche Aussprache von Namen zu einigen, wäre zum Beispiel von Vorteil gewesen. „Musil“ sollte nicht so ähnlich klingen wie die Bezeichnung des Waschmittels „Persil“, und Diotima, diese „Dame von unbeschreiblicher Schönheit“, hätte auch eine korrekte Aussprache verdient.
Es war deutlich zu unterscheiden zwischen Vorlesenden, die der geistigen Eleganz des essayistischen Ausdrucks von Musil gewachsen waren, und anderen, die unter den Erwartungen blieben. Einige gab es, die das Zuhören zu einem großen Vergnügen machten. Christian Friedel etwa oder Steven Scharf, beide von der „preußischen Fraktion“. Der Belgier Benny Claessens scheiterte vielfach an Musils hohen sprachlichen Anforderungen. Die Ehre der Österreicher verteidigte der gebürtige Steirer Johannes Silberschneider, der seinen Vortrag zu einem kleinen Kabinettstück machte.Alles in allem war die Marathonlesung eine gute Anregung, Musils Wälzer wieder zur Hand zu nehmen.