Ausgeklügelte Liebesseufzer
FESTSPIELE / ZEIT MIT GRISEY
01/08/17 In der Serie „Zeit mit Grisey“ gab es am Montag (31.7.) in der angenehm temperierten Kollegeinkirche ein heiß temperiertes Chorkonzert, in dem es um heftig brodelnde Leidenschaften ging. Die Kirche bot einen perfekten Klangraum dafür.
Von Gottfried Franz Kasparek
Gleich vorweg: Das französische Vokalensemble „Solistes XXI“ besteht aus hoch spezialisierten, souverän artikulierenden, tonschön und außerordentlich exakt singenden und nicht ohne Charme agierenden Sängerinnen und Sängern. Eigentlich sollte man alle zwölf Mitwirkenden hier namentlich aufzählen. Scheinbar mühelos bewältigten sie Claudio Monteverdis vertrackte Madrigale, Oliviers Messiaens freudvolle Modi und Gérard Griseys exzessive Computer-Klangspiele – und brachten stets menschlichen Ausdruck zur Geltung. Am Dirigentenpult stand mit väterlicher Miene und exzellenter Technik der Gründer des Ensembles, Rachid Safir. Für die gelungene Tontechnik im Finale sorgte Franck Rossi.
Am Beginn Messiaens „Cinq Rechants“ für 12 gemischte Stimmen, und gleich da tauchte das heimliche Motto des Abends auf – „Tristan und Isolde“, nicht musikalisch zitiert, sondern als Mythos der Liebe verwendet. Messiaen war ein Tondichter der Liebe, der erotischen wie der spirituellen. Am berührendsten ist dies dann, wenn beide zur Einheit werden und zum Französischen noch eine archaische Kunstsprache dazu kommt. Da darf die Analyse der komplexen Musik schweigen und man darf sich einem tiefen, in sich schwingenden Gefühl hingeben. Und kein Mensch merkt, dass es da sehr atonal zu geht, so schön sind diese Klänge.
Monteverdi war ein ebensolcher Meister in seiner Zeit und ein Erfinder der glühenden Dissonanzen der Leidenschaft. Die fünf Gesänge „Ecco Silvio“ aus dem fünften Madrigalbuch, vorgetragen von einem Quintett, bewiesen dies wieder einmal eindringlich.
Ausgeklügelte Musik ist dann groß, wenn man es nicht merkt. Gérard Grisey arbeitete mit Computern – allerdings mit solchen der 1980er-Jahre – und gewann seine Spektralmusik nicht nur aus neuen technischen Klängen, sondern auch aus der Tradition von Schumann bis Messiaen. „Les Chants de l’Amour“ für 12 Stimmen und Tonband ist ein fast vierzigminütiger Klangteppich mit manchmal knurrenden, manchmal ätherischen, oft effektvoll dramatischen Tonband-Zuspielungen. Der Chor gibt den Text „Liebeslieder für alle Liebenden dieser Erde“ und „Ich liebe Dich“ in verschiedenen Sprachen von sich, am Ende steht „I love you“, dazwischen fallen Worte wie Orfeo, Tristan, Isolde oder auch Forte wie Blitze ins Geschehen. Es wird intensiv aus Liebe geseufzt, gestöhnt, geschrien, gekichert und manchmal sogar gesungen, wodurch eigenartige, in sich durchaus schöne Fragmente von Melodien entstehen. Lässt man sich darauf ein, erlebt man ein weit gespanntes Panorama leidenschaftlicher Gefühle mit latent erotisierendem Hintergrund. Die Mikroports werden nur sehr dezent eingesetzt. Viel Applaus für das mit höchster Intensität singende Ensemble.