Der Kaiser muss sterben
FESTSPIELE / LA CLEMENZA DI TITO
28/07/17 Ein starkes Finale. Titus stirbt zu den Klängen der Maurerischen Trauermusik. Der Chor der Flüchtlinge singt, hebräisch, das darin zitierte Klagelied des Jeremias. Teodor Currentzis und Peter Sellars machen Mozarts „La Clemenza di Tito“ zum zeitlosen Drama von Macht, Verführung und Terror. Standing Ovations für die Premiere in der Felsenreitschule am Donnerstag (27.7.).
Von Gottfried Franz Kasparek
Ein starkes Stück. Die Krönungsoper für Leopold II. war schon 1791 ein Plädoyer für die Aufklärung, für Frieden und Versöhnung. Mit der alten Opera seria hatte Mozart nichts mehr am Hut. Er schrieb, unter merkbarem Zeitdruck, modernes Musikdrama. Es ist eine gute Idee, die formelhaften Rezitative von Mozarts Schüler Süßmayr großteils zu streichen und durch dramaturgisch klug eingesetzte Teile der c-Moll-Messe sowie durch Adagio und Fuge als Schilderung der Seelenkrämpfe des Sesto zu ersetzen.
Der in der Tat an eine Figur E.T.A. Hoffmanns erinnernde Dirigent Teodor Currentzis am Pult seines mehrheitlich russischen Orchesters musicAeterna betont einen langen, aber keinen Takt lang langweiligen Abend hindurch zwar die barocken Formen der Musik, lädt diese jedoch derart expressiv auf, spannt lange Bögen bis zum Zerreißen, badet zwischendurch auch einmal in Wohlklang, ehe das nächste Herzensereignis scharf explodiert, dass man den Eindruck hat, ein neues Stück zu hören. Ein nachschöpferischer Interpret ist er und ein Originalklang-Romantiker. Orchester und Chor aus Perm tragen das fundiert mit. Die Verbindung schaffen archaisch pochende Continuo-Passagen, zum Hammerklavier kommen Laute, Barockgitarre, Cello. Currentzis unterbindet nahezu jeden Arienapplaus, erreicht dadurch eine immerwährende Spannung.
Doch warum muss der Kaiser sterben? Er leidet den ganzen zweiten Akt lang, verwundet vom Attentat am Ende des ersten, im modernen Spitalsbett, bis er sich am Ende aller medizinischen Maschinen entledigt und sich aus dem Dasein verabschiedet. Auf einer Bühne, die George Tsypin nur mit auf- und absteigenden Objekten bestückt hat, rechteckigen Gebilden aus Gittern und Glasflächen, scharfkantigen Säulen für das brennende Kapitol. Die Objekte können auch als Versteck, Zimmer, Türe diesen. Im Grunde bleibt die Kulisse des Raums, mystisch ausgeleuchtet, dominierend.
Robby Duivermans Kostüme erinnern an Bilder von Flüchtlingsströmen, an Politiker und Terroristen von heute. Regisseur Peter Sellars bringt mit einfachen Mitteln unvergessliche Bilder von Liebe, Leid und Tod auf die Bühne, pendelt in seiner Personenführung effektvoll zwischen realistischem Spiel und Hände ringender Stilisierung, lässt das Menschliche aber immer im Mittelpunkt. Am Beginn des zweiten Akts befindet sich ein Blumenkreis des Gedenkens an Terroropfer auf der Bühne, während das Kyrie aus der Messe erklingt. Der Kaiser muss sterben, um den Weg freizugeben für die Vision einer besseren Welt. Auch eine Art Bühnenweihfestspiel!
Das starke Stück wäre nicht möglich ohne entsprechende Sängerinnen und Sänger. Russell Thomas, der farbige Tito mit einer zwischen Belcanto- und Charaktertenor perfekt ausgewogenen Stimme, spielt den zum gütigen Herrscher gewandelten einstigen grausamen Feldherrn glaubwürdig. Der Mann hat Israel vernichtet, ehe er in Rom zum Vorbild eines weisen absoluten Kaisers wurde. Im zweiten Akt, im Bett mit Leben und Tod kämpfend, läuft er zu großer Form auf.
Marianne Crebassa singt und spielt den Sesto mit wundersam jungmännlicher Erscheinung, vom smarten Liebhaber zum Attentäter werdend, zwischen Liebe und Freundschaft zerrieben. Ihr Mezzosopran zählt zu den schönsten Stimmen der Gegenwart. Wie sie ihn gefühlvoll einsetzt, zeigt höchste musikalische Intelligenz und darstellerische Kraft. Selbst wenn Sesto den Tito tödlich verwundet – das muss er in dieser Version – hat man Mitleid mit dem verführten Jungen. Die von Currentzis weit atmend zelebrierte Arie „Parto, parto…“, einer von Mozarts Jahrtausendeinfällen, wird im Duett mit dem auf der Bühne nicht nur am Instrument mitspielenden Bassettklarinettisten zum besonderen, tief berührenden Erlebnis. So sollen Festspiele sein. Und danach ließ sich der Publikumsjubel denn doch nicht stoppen.
Golda Schultz ist eine fein timbrierte Vitellia mit Silbersopran und mehr verzweifelter Lyrik als lodernder Leidenschaft. Da sie der Dirigent auch in der gefährdeten Mittellage sorgsam trägt, wird auch sie zur stimmigen Figur. Christina Gansch wirkt als Servilia wie ein nettes Mädchen von nebenan und dies passt genau. Wie auch ihr jugendlich blühender Sopran. Die zweite Hosenrolle, Annio, ist bei der burschikosen Jeanine De Bique mit ihrem eher kleinen, aber schönen Mezzo in guten Händen. Willard White, einst ein berühmter Porgy und Rattles Salzburger Wotan, verströmt als General Publio geziemende Basswürde – und seine kleine Arie klingt dank der Akzentuierungskunst des Dirigenten fast wie von Verdi. Und etwas von Verdis „Parola scenica“ liegt ohnehin schon in Mozarts Musik. Ein Stück über den Zeiten und ein großer Theaterabend, den ein paar obligate, im Jubel untergehende Buhs gegen Sellars nicht stören konnten. Das gehört halt zur Opern-Folklore.