Ein frühes Plädoyer für Umwegrentabilität
DOKUMENTATION / FESTSPIELE / MAX REINHARDT
24/04/17 Was für eine moderne Argumentation: „Einen unversieglichen Strom wohlhabender Reisender und steuerkräftiger Ansiedler“ werde der Stadt zugeführt, so sie denn eine Festspielhaus baue. So würden „neben den kulturellen auch wirtschaftliche Vorteile erbracht …, deren „Höhe sich ziffernmässig kaum abschätzen läßt.“
Das scharfe „ß“ lässt ahnen: Das Statement in Sachen Umwegrentabilität ist nicht ganz neu. Es ist sogar ein wenig älter als die Salzburger Festspiele. Max Reinhardt hat so versucht, für Festspiele in Salzburg und sogar für den Bau eines Festspielhauses Stimmung zu machen. Die Festspiele haben dieses historische Dokument veröffentlicht. Max Reinhardts „Denkschrift zur Errichtung eines Festspielhauses in Hellbrunn“ wurde damals, am 25. April 1917, bei der „K. und k. General Intendanz der k. k. Hoftheater in Wien“ eingereicht – ohne übrigens unmittelbar Wirkung zu zeigen, aber das ist ein anderes Thema.
Wir lesen ein wenig hinein in dieses Memorandum eines Theatermannes, der natürlich nicht nur die Sache, sondern in politisch wie wirtschaftlich problematischer Zeit auch sein eigenes Weiterkommen im Kopf hatte. Im vorletzten jahr des Ersten Weltkriegs vermutet Max Reinhardt, dass dass die Aufgaben des Theaters „nach dem Kriege … nicht geringer“ würden, „ganz besonders dann nicht, wenn, wie man glauben darf, die kommende Zeit noch lange den Ernst in ihrem Antlitz bewahren“ werde. „So sehr die Kunst ein Himmelskörper für sich ist, der unbeirrt seine Kreise zieht und sich um seine eigene Achse dreht, so empfängt er doch sein Licht von dieser Welt der Wirklichkeit und wenn die guten Geister der Kunst ihre Spiegel für den heutigen Tag auch streng verhüllen, so ist doch nicht anzunehmen, daß der ungeheure Weltenbrand für die Dauer ohne dichterischen Wiederschein bleiben wird.“
Ein wenig kommt einem schon das Gruseln, wie Reinhardt hinsichtlich der Theaterkunst orakelt: „Ganz gewiß wird die Zukunft ihr neues Licht, neue Liebe und neues fruchtbares Leben schenken. In diesem Glauben trachten ihre Führer sich und ihre Welt für die Anforderungen einer kommenden Zeit zu rüsten.
Max Reinhardt hatt ja keine Musik-, sondern Theaterfestspiele im Kopf und argumentierte, dass ein solches Festspiel „ ein viel weiter verzweigtes Interesse wachruft als die Wagner-Festspiele zu Bayreuth und München“. „Diese breitere Grundlage, welche alle dramatischen Meisterwerke von der Antike an, von Calderon, Shakespeare und den deutschen Klassikern bis zu Grillparzer und Raimund umfaßt, welche in Gestalt von religiösen Mysterien- und Passionspielen auch über die Kreise der Kunstverständigen hinaus den weitesten Volkskreisen erhebende, geistig und sittlich segensreiche Eindrücke feierlicher Art erschliessen soll, diese breitere Grundlage muß naturgemäß auch in einer erhöhten Frequenz zum Ausdruck gelangen...“
„Österreichische Kunst den Österreichern“, könnte eine Schlagzeile über Reinhardts Argumentation lauten, denn es sei „zu erwägen, daß es doch vor allem Österreicher sind, welche die Entfaltung des deutschen Bühnenlebens in der neueren Zeit vorzugsweise mit getragen und gefördert haben. Nicht umsonst ist das berühmte Hofburgtheater in Wien immer die Stätte gewesen, welche in vorbildlicher Weise die Pflege der Bühnenkunst hohen Stiles zur ihrer Aufgabe gemacht hat, denn die Geschichte dieser Kunst erweist ja Seite um Seite die ganz besondere Begabung der österreichischen Volksstämme auf diesem Gebiete. An fast allen reichsdeutschen Bühnen wirken Österreicher an hervorragendster Stelle und selbst die Festspiele zu Bayreuth und München wären undenkbar, wenn ihnen nicht gerade Österreich seine ausserordentlichen Begabungen an Darstellern, Sängern, Dirigenten, Regisseuren und Musikern zur Verfügung stellte. Da liegt es denn wohl nahe, dem Gedanken Raum zu geben, die reichen Früchte dieser in Österreich so üppig quellenden Kraft auch Österreich selbst in höherem Masse zugute kommen zu lassen als es seither mangels eines Festspielhauses möglich gewesen ist.“
Und schon schwenkt Reinhardt wieder in die merkantilen Perspektiven, denn es könne „ ja garnicht ausbleiben, daß durch die Salzburger Festspiele der Zustrom von Reisenden aus dem reichsdeutschen Gebiet nach Österreich in ausserordentlichem Masse gesteigert werde“. Die Propagandawirkung werde „nicht allein der Stadt Salzburg, sondern mittelbar dem ganzen österreichischen Alpengebiet sowie allen touristisch reizvollen Gebieten der Monarchie zugute kommen, die zum Teil noch lange nicht in dem Masse gekannt und besucht sind, wie sie es verdienen“.
Reinhardt spricht vom „Zufluss von zehntausenden wohlhabender Reisender“ und verweist auf die Münchner Festspiele, die „nach den bayrischen Touristen-Gebieten überaus belebend gewirkt haben, und daß die daraus sich ergebenden hohen wirtschaftlichen Vorteile weitesten Kreisen des dortigen Erwerbslebens zugute kommen und dadurch die Steuerkraft der Bevölkerung erhöhen.“