Gezähmte Orchesteropulenz
FESTSPIELE / CLEVELAND ORCHESTRA (2)
22/08/16 Franz Welser-Möst und das Cleveland Orchestra glänzen bei Béla Bartók und Richard Strauss mit transparenten Klangschichtungen. Anja Harteros gibt den „Vier letzten Liedern“ strahlkräftige Sopranlichter.
Von Elisabeth Aumiller
Die Musiker nehmen die Plätze auf der Bühne des großen Festspielhauses in ungewöhmlicher Formation ein. Die Streicher teilen sich in seitlich je eine Gruppe, in der Mitte dazwischen finden sich Klavier, Celesta, Harfe, Xylophon und Schlagzeug: „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ Sz 6 von Béla Bartók beherrscht den 1. Teil am zweiten Gastabend des Cleveland Orchestra mit seinem Musikdirektor Franz Welser-Möst. Aus zart schwebendem Einsatz lassen die Streicher ein fließendes Crescendo in chromatischer Tonfolge anschwellen und kehren am Höhepunkt in entsprechender Gegenbewegung zum Beginn zurück. Bizarre Rhythmik kommt dann ins Spiel, energische Klavierskalen, differenzierte Schlagzeugvarianten und stete Wiederkehr zu fein gesponnenen Streichersequenzen mit eingestreuten Harfenarpeggien und überraschend aufblitzenden Celesta-Lichtchen. In schillernder Vielfalt zeigt sich Bartóks berühmtes Stück, das traditionelle Harmonik ebenso wenig scheut wie atonale Anklänge oder ungarisch-folkloristische Farbreize. Welser-Möst und die Musiker bringen diese Facetten wirkungsvoll an die Oberfläche und führen die Streicherqualitäten ins Treffen, die mehr Kristallschliff als Wärme aufweisen.
Der zweite Teil ist Richard Strauss gewidmet. Die Tondichtung „Tod und Verklärung“ op.24 schildert programmatisch einen Kranken, der von großen Schmerzen aus dem Schlummer gerissen wird, bevor ihm die Todesstunde naht, in der dann die Seele verklärt hinübergleitet. Als 25jähriger hat Strauss diese Vision musikalisch geformt. Welser-Möst bringt sich mit sehr energischen Impulsen ins Klanggeschehen ein, zügelt aber dennoch das Orchester zu beinahe kammermusikalischer Durchsichtigkeit. Der geschliffene Orchesterklang unterordnet sich dem Stimmungsgehalt. Traumverlorene Streicherfantasien dringen ans Ohr, Flöten und Holzbläsersoli glänzen dazwischen und übernehmen gegenseitig die Themen, Kämpfe voll Todesahnung fordern die volle Orchesterbrillanz, die Verklärung folgt als allmähliches Ausklingen in subtiler Zartheit.
Attacca lässt der Dirigent die „Vier letzten Lieder“ anschließen, die sich nahtlos an die verklingende „Verklärung“ anfügen. Der 84jährige Strauss hat sie kurz vor seinem Tod geschrieben und und darin ein Thema seiner sechzig Jahre zuvor entstandenen Tondichtung eingeflochten. Es heißt, dass er am Totenbett gesagt haben soll, es verhalte sich damit genau so, wie damals komponiert. Für die Lieder ist die Starsopranistin Anja Harteros aufgeboten. Für die „dämmrigen Grüfte“ der „wandermüden“ Gemütslage der Lieder, in denen „die Seele unbewacht in freien Flügen schweben“ will, ist der strahlkräftige Stimmeinsatz von Harteros anfangs fast zu vital, zu mächtig. Aber sie passt sich dann zunehmend dem feinen Orchestergespinst an und „Im Abendrot“ nimmt auch der leuchtende Sopranglanz mehr von der „nachtträumenden“ Farbe an und die bange Frage „Ist dies etwa der Tod?“ verschmilzt im feinen Pianissimo mit dem filigranen Orchesternachspiel, in dem die Wiederholung der flirrenden Flötentriller dem verdämmernden Ende das Geleit gibt.