Expressive Sprachkunst
FESTSPIELE / SALZBURG CONTEMPORARY / KURTÀG
17/08/16 Ein Kammerkonzert, ein spezieller Liederabend, Salzburg Contemporary – jedenfalls ein Abend der Sonderklasse. Die Sopranistin Anu Komsi und die Geigerin Isabelle Faust widmeten sich am Dienstag (16.8.) im Großen Saal György Kurtágs „Kafka-Fragmenten“.
Von Gottfried Franz Kasparek
Kurtág, neben Cerha der zweite gefeierte „Neunziger“ dieser Festspiele, ist ein Meister der kleinen Form. Für dieses singuläre Werk bündelte er Textfragmente Franz Kafkas und ein einziges von Elias Canetti zu einem Vokalzyklus, der in seiner insistierenden Expressivität und gesanglichen Artistik der geheimnisvoll dunklen Sprachwelt der Vorlagen sehr, sehr nahe kommt. In manch skurrilen Episoden wie der kleinen Szene in einer „Elektrischen“ – altösterreichisch für Straßenbahn – spielt auch hintergründiger Humor eine Rolle, wenn eine Tänzerin von zwei Violinisten „bei voller Fahrt“ begleitet wird, ehe „die Süßigkeit der Trauer und der Liebe“ wieder dominiert.
Kurtágs pointillistische, im Grunde mit wenigen Mitteln auskommende Kunst kann über eine pausenlose Stunde lang mitunter ermüden, ergreift jedoch immer wieder in ihrer tiefen Ehrlichkeit. Im Finale, „Es blendete uns die Mondnacht“, ist Schuberts Leiermann nicht allzu ferne.
Das Stück kann auch szenisch gestaltet werden. Ein Abend im Salzburger Landestheater bei der Biennale 2011 mit Salome Kammer, Carolin Widmann und stummen Darstellern in der Regie von Antoine Gindt ist in guter Erinnerung. Auch diesmal im Mozarteum gab es ein wenig Beleuchtung, im ersten Teil bläulich, dann in lichten Rottönen. Auf dem Podium befanden sich aber nur die beiden Protagonistinnen vor Notenpulten und zwischen kleinen Tischen, die als Ablage für die beiden verschieden gestimmten Violinen dienten.
Anu Komsi beschränkte sich auf wenige Gesten. Die finnische Sängerin, eine Spezialistin für neue Musik mit ebenso klarer wie durchdringender Stimme, hatte mit den extremen Lagenwechseln ihres Parts keine Probleme, auch das oft verlangte Quietschen und Jaulen beherrscht sie perfekt. Dazwischen gelangen ihr auch dezente Kantilenen. Dass die Artikulation nicht ganz so perfekt erschien und manche Passagen recht mulmig gerieten, hatte wohl doch mit der ihr eher fremden Sprache zu tun. Die Geigerin Isabelle Faust kann auch wunderbar Bach oder Schumann spielen, eine Vielseitigkeit, die der Interpretation der Avantgarde immer zugute kommt. Zwischen rasanter Dramatik und leuchtkräftiger, gleichsam gebändigter Emphase, mit aufregenden Zwischentönen und lapidar-rhythmischen Episoden erspielte sie einen ganzen Ausdruckskosmos von, das Wortspiel sei erlaubt, geradezu „faustischer“, in Tönen sprechender Abgründigkeit.
Jubel gab es am Ende für beide Künstlerinnen. Leider war der Große Saal des Mozarteums nur unten und auch da nur zur guten Hälfte besetzt. Es war vielleicht keine so gute Idee, Kurtágs luzide Kunst der Konkurrenz von Massenets „Thaïs“, der Wiederaufnahme des „Figaro“ und einer „Sturm“-Reprise auszusetzen.