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Unausgelebte Liebe zur Weisheit

FESTSPIELE / LESUNG TOBIAS MORETTI

12/08/16 Warum überschrieb Thomas Bernhard seine Erzählung über die letzten Tage Goethes mit „Goethe schtirbt“? Eine Unsicherheit in der Rechtschreibung? Kaum. Bernhard dürfte gewusst haben, dass es „Goethe stirbt“ heißen müsste.

Von Werner Thuswaldner

„Schtirbt“ sieht aber lustiger aus, humorvoller. Freilich Beleg für ein sonderbares Humorverständnis. Bernhard wollte zeigen, dass er im Unterschied zu vielen anderen keine Ehrfurcht vor dem Mann aus Weimar empfand. Der Witz – falls es sich um einen solchen handeln sollte – kommt allerdings nur in der schriftlichen Wiedergabe an den Tag. Als Tobias Moretti am Donnerstag (11.8.) im Landestheater den Text vorlas, konnte der Spaß, den Bernhard zu Papier gebracht hatte, seine Wirksamkeit nicht entfalten.

Um eine dokumentarische Schilderung der letzten Tage Goethes war es Bernhard nicht zu tun. Das ist unschwer an der Tatsache zu erkennen, dass der Text behauptet, Goethe habe sich zuletzt von der Dichtung ab- und ganz der Philosophie zugewandt.

Bernhard war von der Philosophie fasziniert und hätte gerne etwas davon verstanden. Das klappte aber nicht im Zug seiner Ausbildung, daher bleibt es in seinem Werk beim name dropping. Verschiedene Philosophennamen werden immer wieder genannt, jener Schopenhauers etwa, Kierkegaards und Wittgensteins. Dies genügt, um beim Publikum – besonders dem deutschen - den Eindruck zu erwecken, dass der Autor ein durch und durch gebildeter Mann gewesen sein musste. Aber einer Auseinandersetzung mit dem Werk der Philosophen ging Bernhard aus dem Weg.

Bernhard treibt den Spaß in der Erzählung über Goethes Sterben nach der Überschrift weiter. Goethe habe den dringenden Wunsch gehabt, Ludwig Wittgenstein möge aus Oxford oder Cambridge am 22. August 1832 nach Weimar kommen, heißt es darin. Einer von jenen, die Goethe bedingungslos ergeben waren, Kräuter, sei tatsächlich nach England aufgebrochen, habe aber Wittgenstein nicht mehr lebend angetroffen. – Bernhard wollte dem Publikum mit dieser Fiktion Freude bereiten. Er macht es ihm sehr leicht zu durchschauen, dass es um einen Jux geht, denn die beiden Männer, Goethe und Wittgenstein, hatten in verschiedenen Jahrhunderten gelebt, hatten also keine Chance, einander jemals zu treffen..

Für Tobias Moretti bestand die Herausforderung an diesem Abend darin, mit der oft halsbrecherischen Abfolge von Schachtelsätzen zurechtzukommen. Das gelang ihm mit seiner stoischen und überaus disziplinierten Vortragsweise auf bewundernswerte Art.

Auch der erste vorgetragene Text, eine Erzählung aus dem Jahr 1960 über einen Innsbrucker Kaufmannssohn, war voll von diesen Hürden. In der frühen Prosa erscheinen viele inhaltliche und stilistischen Elemente, die Bernhards Werk kennzeichnen, bereits deutlich ausgeprägt. Der Kaufmannssohn Georg, von Geburt an misshandelt, zum Beispiel mit dem Ochsenziemer, wächst als Krüppel heran und fristet ein zutiefst bedrücktes Leben. Immerhin darf er in Wien – übrigens die miserabelste Stadt auf der Welt – Pharmazie studieren. Dort bewohnt er mit dem Ich-Erzähler, der ebenfalls aus Innsbruck stammt, ein gemeinsames Zimmer. Die beiden scheinen eine Art Wettbewerb auszutragen, wer von ihnen das traurigere Los gezogen hat. Mit dem Selbstmord Georgs ist der Fall entschieden.

Bild: Salzburger Festspiele / Franz Neumayr

 

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