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Dr. Hohenadl verirrt sich im Wiener Rathaus

SATIRE

03/03/23 Das Gespräch mit Dr. Hohenadl endete damit, dass er von Prof. Alfred Proschek eingeladen wurde, ihn in der Wienbibliothek im Rathaus zu besuchen. Dr. Hohenadl fühlte sich geehrt und freute sich darauf, einerseits. Andrerseits sah er dem Termin mit Unbehagen entgegen.

Von Werner Thuswaldner

Denn Dr. Hohenadl war nicht sicher, auf Anhieb den richtigen Eingang und dann im Gebäudeinneren den Weg über Stiegen und dunkle Flure zum Büro Prof. Proscheks zu finden. Er holte Erkundigungen ein, so viel er nur konnte. Und was er zu hören bekam, beunruhigte ihn zutiefst, denn seine Orientierungsschwäche hatte ihn schon des Öfteren in eine missliche Lage gebracht. Seine Befürchtungen und Sorgen begleiteten ihn bis in den Schlaf.

Er sah sich, wie er sich vor einem der Eingänge des Rathauses herumdrückte, jeden Morgen. Er war nicht der Einzige, auch andere schienen hier zu warten. Waren es wie er potentielle Besucher, die wie er zögerten hineinzugehen, aus lauter Furcht, sich hoffnungslos zu verirren? Eines Tages glaubte er tatsächlich den Bürgermeister, begleitet von zwei dunklen Männern, zielstrebig an sich vorbeirauschen zu sehen. Klar, der wusste seinen Weg. Er war auch schon lang genug Bürgermeister. Und zudem konnte er sicher sein, dass ihn die zwei Männer, sollte er von der richtigen Richtung einmal abkommen, wieder auf die korrekte Spur brachten. Sein Büro befand sich im Südbuffet des Rathauses. Das war eines seiner Alleinstellungsmerkmale. Kein anderer Bürgermeister einer Millionenstadt auf der ganzen Welt hatte sein Büro in einem Buffet. Dort hätte er wegen der guten Versorgung jederzeit eine längere Belagerung überstehen können.

Erst nach längerem fiel Dr. Hohenadl auf, dass die anderen, die wie er zu warten schienen, nicht Besucher, sondern Führer waren. Sie waren Angestellte des Rathauses, mit der Aufgabe, die Menschen, die zu diversen Ämtern vordringen wollten, und Gemeinderäte an die richtige Stelle zu bringen. Zwanzig Euro betrug der Tarif. Aber nicht nur Besucher waren auf sie angewiesen, sondern auch weniger versierte Beamte und Gemeinderäte. Für sie galt allerdings ein ermäßigter Sondertarif.

Nur wenige waren souverän und auf keinen Führer angewiesen. Sie wurden umschmeichelt, denn immer wieder versuchten andere, sich ihnen anzuschließen, um so die Kosten für den Führer zu sparen. Die Kundigen spielten ihre Stellung aus und ließen sich bestechen. Freilich hatte es Versuche gegeben, die Führer durch ein ausgeklügeltes elektronisches Navigationssystem zu ersetzen. Diese Versuche aber schlugen fehl, entweder aufgrund von technischer Unzulänglichkeit oder weil sie sabotiert wurden.

Vor Österreichs Beitritt zur EU hatte es Orientierungskurse für jeden angehenden Beamten gegeben. Ein Jahr lang wurde, gegliedert in Theorie und Praxis, gelehrt, wie sich jemand im Rathaus zurechtfinden konnte. Viele scheiterten an der abschließenden Prüfung. Die EU schließlich schaffte den Kurs aufgrund einer Rechtsgrundlage, in der von Diskriminierung die Rede war, ab.

Dr. Hohenadl musste sich entscheiden. Vor dieser Entscheidung sah er sich in den Träumen, die ihn plagten, aber auch in der Wirklichkeit. Entweder er sagte den Besuch bei Prof. Proschek ab, was er höchst ungern getan hätte, weil ihm an dem Kontakt mit dem Mann lag, oder er stürzte sich in das Abenteuer. Wie es verlaufen würde, davon bekam er in seinen Albträumen lebendige Bilder.

Der Führer zeigte sich uneinsichtig, ließ sich auf keine Debatte über den Preis ein. Dr. Hohenadl ärgerte sich, nicht zuletzt weil dieser Führer, der sich hier aufspielte, gar kein Wiener zu sein schien. Was er sagte, klang sächsisch oder so ähnlich. Jedenfalls redete er wie die lustigen Figuren in der Operette. Aus Trotz ging Dr. Hohenadl auf eigenes Risiko los. Bereits nach drei Stiegen und zwei verwinkelten Gängen zeichnete sich sein Scheitern ab. Gleichwohl war er froh, wegen der schummrigen Beleuchtung nicht schon auf die Steinstufen hingeknallt zu sein.

Dantes „Göttliche Komödie“ fiel ihm ein. Was wäre passiert, hätte er laut nach Prof. Proschek gerufen? Dr. Hohenadl tastete sich weiter vorwärts, las viele Türschilder, die ihm nichts sagten, begegnete Gestalten, die ihm unheimlich vorkamen, und legte Pausen ein. Einmal nahm er seinen ganzen Mut zusammen und fragte einen Entgegenkommenden, wo er Prof. Proschek finden könne. Der sah ihn entgeistert an, fragte: Prof. Proschek? Kopfschüttelnd ging er weiter.

Es musste am späten Nachmittag gewesen sein, als er schon recht gleichgültig und die verabredete Zeit für das Treffen mit Prof. Proschek längst vorüber war. Auf einmal war da eine Lifttür. Dr. Hohenadl stieg ein, drückte einen Knopf und fuhr nach unten. Dort stieg er aus und befand sich in einem kleinen Raum. Durch eine Glastür fiel schwaches Licht herein. Dr. Hohenadl öffnete sie und trat in einen winzigen Hof. Die Tür hinter ihm fiel zu. Sie hatte außen keinen Griff. Die Dämmerung war schon weit fortgeschritten. Es war fast finster.

Nach Träumen dieser Art wachte Dr. Hohenadl jedes Mal schweißgebadet und mit Herzrasen auf.

Werner Thuswaldners Prosaband „Die Welt des Dr. Hohenadl. Ansichten eines gelernten Österreichers“ ist 2019 bei Ecowin erschienen
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Aus dem produktiven Leben eines Knauserers

 

 

 

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