Eduard Tratz und das „SS-Ahnenerbe“
DOKUMENTATION / HAUS DER NATUR / DRITTES REICH
09/04/14 „Sie haben ein ausgezeichnetes Werk geschaffen.“ Ein solches Lob liest ein Museumsdirektor gerne im Besucherbuch. Der Pferdefuß dieser Eintragung: Sie stammte vom Juni 1938 und geschrieben hatte sie Heinrich Himmler. Der Gelobte war Eduard Tratz, der Gründer und Leiter des „Hauses der Natur“.
Rasch hat Eduard Tratz nach dem „Anschluss“ Österreichs das Haus der Natur an die neuen politischen Verhältnisse angepasst. Dass er „Gaujägermeister“ wurde, war wohl nahe liegend für einen, der sich so gut in der Natur auskannte. Unmittelbar nach dem Anschluss nahm Tratz Änderungen im Schaubreich vor, die unter anderem der Vermittlung NS-ideologischer Inhalte dienten. Ein von den Änderungen betroffener Saal war dem Generalthema „Lebensgeschichte“ gewidmet und zeigte biologistisch begründet, „höher-„ und „minderwertigere“ „Menschenrassen“. Aus der ehemaligen Abteilung „Vererbungslehre und Rassenhygiene“ stammten vier Modelle von „Farbrassen der Erde“. Zehn weitere Abformungen von „Rassen und Typen des deutschen Volkes und ihrer Parasiten“ wurden angekauft. Darunter befanden sich auch zwei Abformungen von jüdischen Männern aus dem KZ Dachau. Sie wurden als dreidimensionale biologistische Belege einer „minderwertigen Rasse“ in die Schau integriert.
Um den Sprung zum „Weltmuseum“ zu schaffen, richtete Tratz außerdem den Saal „Kreuz und quer durch die außereuropäische Tierwelt“ ein. Mit Raubgut aus Polen, Russland und der Ukraine schuf er 1941 einen neuen „Eiszeit-Bereich“.
Tratz hatte beste Beziehungen überallhin. Rasch gelang es ihm, die Aufmerksamkeit von „Ahnenerbe“-Reichsgeschäftsführer Sievers auf das Haus der Natur zu lenken. Am 1. März 1939 erfolgte die Integration in die SS-Wissenschaftsorganisation unter der Bezeichnung: „Haus der Natur – Die Lehr-und Forschungsstätte für darstellende und angewandte Naturkunde der Forschungs-und Lehrgemeinschaft ‚Das Ahnenerbe‘“. Tratz wurde zum Abteilungsleiter ernannt und mit dem Dienstgrad eines Hauptsturmführers in die SS aufgenommen.
Ihm als Museumsleiter brachte das eine großzügige Ausstattung mit finanziellen und personellen Ressourcen. Tratz identifizierte sich in vielfältiger Weise mit den Forschungszielen des „Ahnenerbes“. Er beteiligte sich sowohl an der Enteignung von kirchlichem und jüdischem Besitz als auch an völkerrechtswidrigen Kulturraub-Aktionen in polnischen Museen und naturwissenschaftlichen Institutionen. Auch über die Museumsarbeit hinaus war Tratz in die naturwissenschaftlichen Aktivitäten des „Ahnenerbes“ involviert. Unter anderem stand er in Kontakt zu Mitgliedern des „Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung“ des „Ahnenerbes“, die für die Durchführung verbrecherischer Humanexperimente mit zahlreichen Opfern verantwortlich waren.
Speziell die Ahnenforschung in dieser dunklen Periode spiegelte die damals eingerichtete Tibet-Schau. Die „Deutsche Tibet Expedition Ernst Schäfer“ hatte das Ziel, Belege für den Ursprung der „arischen Rasse“ im Hochland Asiens zu finden. Sie brachte Tausende von Tierbälgen und völkerkundlichen Gegenständen sowie 16 Abformungen menschlicher Gesichter nach Deutschland.
Tratz wollte daraus eine große Ausstellung im Haus der Natur schaffen, die Tierbälge gingen jedoch an das Berliner Naturkundemuseum. Ernst Schäfer schenkte Tratz allerdings völkerkundliche Objekte, darunter ein Fürstenzelt sowie Gebrauchs- und Kultgegenstände, aus denen unter der Regie Schäfers ein großes Tibet-Diorama entstand.
Die Figuren geben lebende Menschen wieder, deren Gesichter vom Expeditionsteilnehmer Bruno Beger in Tibet abgeformt und später vom anthropologischen Präparator Willi Gabel modelliert wurden. Beger und Gabel waren in Deutschland auch an Abformungen von KZ-Häftlingen beteiligt, die für eine von August Hirt geplante Skelettsammlung ausgewählt und ermordet wurden. Beger wurde dafür 1974 wegen Beihilfe zu 86-fachem Mord verurteilt.
Zusätzlich wurden zwei Kleindioramen erstellt, die das Ritual der Leichenzerschneidung und den Sitz des Dalai-Lama in Lhasa zeigten. Im Beisein von Sven Hedin wurde die Tibetschau am 20. Januar 1943 eröffnet. Nach der Übersiedlung des Museums wurden die Dioramen unter Verwendung der Originalobjekte am heutigen Standort neu aufgebaut.
Die vom NS-Unrechtssystem geschaffenen rechtlichen Rahmenbedingungen und die Integration in das „SS-Ahnenrebe“ verschafften Tratz neuen Handlungsspielraum zur Aneignung von Sammlungsbeständen für sein Museum. Offensichtlich ohne moralische Zurückhaltung requirierte er Objekte von kirchlichen Organisationen, aus privaten jüdischen Sammlungen und von naturkundlichen Institutionen in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten. Unter den während dieser Zeit unrechtmäßig ins Haus der Natur gelangten Objekten finden sich Sammlungsbestände prominenter privater jüdischer Sammler wie Rudolf Gutmann und der Familie Rothschild ebenso wie Objekte aus polnischen Museen. Das Haus der Natur arbeitet derzeit daran, alle Fälle restlos aufzuklären und offene Restitutionen gemeinsam mit den rechtmäßigen Besitzern abzuschließen.
Vor 1938 hatte sich Tratz weder parteipolitisch betätigt noch ein Naheverhältnis zum Nationalsozialismus erkennen lassen. Als Abteilungsleiter des „Ahnenerbes“ erwies er sich jedoch als systemloyaler und anpassungswilliger Opportunist, der sich zu einer Ausrichtung des Museums im Geiste des nationalsozialistischen Naturverständnisses bekannte: „Denn dieses Museum ist das erste im großen Deutschen Reich, das neben den herkömmlichen Museumsaufgaben eine weltanschauliche Zielsetzung hat und damit sichtbarer Ausdruck ist der naturwissenschaftlichen Grundlagen des Nationalsozialismus“, verkündete er in einer Ansprache zur Eröffnung der Tibetschau am 17. Januar 1943.
Zwischen 1938 und 1945 veröffentlichte Tratz einige Texte, die sich mit den Aufgaben und der Stellung naturwissenschaftlicher Museen im Dienste der NS-Ideologie sowie dem nationalsozialistischen Naturverständnis beschäftigen. In anderen Texten aus dieser Zeit finden sich rassistisch-biologistische Textpassagen, in denen eine Rechtfertigung der Euthanasie anklingt. Tratz distanzierte sich von all diesen Äußerungen nach 1945 nicht. Er führte die betreffenden Publikationen weiterhin in seinem Publikationsverzeichnis an.
Tratz wurde am 30. Juni 1945 vom amerikanischen Counter Intelligence Corps verhaftet, der in den besetzten Ländern nach Kriegsverbrechern fahndete. Er kam zunächst ins Salzburger Landesgericht, dann ins Zivilinternierten-Lager in Landshut, ehe er in das Camp Markus W. Orr in Salzburg/Glasenbach verlegt wurde, wo er bis 12. August 1947 interniert blieb. Zu einer Anklageerhebung kam es nicht, auch wurde dem Ansuchen polnischer Behörden um Auslieferung wegen seiner Beteiligung an der Plünderung des Naturkundemuseums in Warschau 1939 nicht stattgeben.
Ins Haus der Natur kehrte Eduard Tratz 1949 zurück. In den Jahren dazwischen war der Wiener Mittelschullehrer Maximilian Piperek Direktor, der rassenideologische Elemente aus der Ausstellung entfernen ließ. Er versuchte das Haus auf humanistische Werte hin auszurichten und in ein Forum der Begegnung und Diskussion zu verwandeln.
Alte Mitarbeiter von Tratz machten sich für die Rückkehr von Tratz an sein Haus stark. Entscheidend für die Wiedereinsetzung von Tratz war letztlich aber der Wunsch von Stadt und Land Salzburg nach einer Wiederbegründung des „Vereins für angewandte und darstellende Naturkunde“, um einen für die finanzielle Gebarung verantwortlichen Träger zu schaffen. Bei dessen Neukonstitution im April 1949 votierte die große Mehrheit der Vereinsmitglieder für die Rückkehr von Tratz, der am 1. Juni 1949 mit Zustimmung aller Parteien erneut die Leitung des Museums übernahm. Aus der Kategorie „Belastet“ kam Track flugs in die Schublade „minder belastet“. Dafür sorgte der damaligen Magistratsdirektor Richard Seeger, der zahlreichen ehemaligen Nationalsozialisten im Zuge des Entnazifizierungsverfahrens beistand.
Gemeinsam mit seinen langjährigen Mitarbeitern brachte Tratz das Haus sofort auf den alten Kurs. Er machte die meisten Veränderungen Pipereks rückgängig und knüpfte an seine frühere Sammlungs-und Präparationstätigkeit an. Eine Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit fand nicht statt.
Das Museum blieb, auch nach der Übersiedlung an den ehemaligen Hofstallungen (die für das Festspielhaus gebraucht wurden) an den derzeitigen Standort in seinen Grundzügen bis zum Ende der Direktion Tratz in seinen Grundzügen das alte. Tratz starb 1977 im Alter von 88 Jahren. (Haus der Natur)