Metamorphosen von Sonnenblumen
KUNSTRAUM ST. VIRGIL / REPORTAGE / WILHELM SCHERUEBL
08/06/16 „Vogelfutter in die Erde. Wasser. Licht. Leben. Kein statisches Material. Perfekte Skulpturen, deren Entstehen ich nur inspiriert habe. Nach der Blüte sind sie weg. Das Lagerproblem entfällt.“ Poetisch-pragmatisch. Zeichnungen dokumentieren das Werden und Vergehen. Leicht, schwebend - oft ätherisch - sind die Arbeiten von Wilhelm Scheruebl aber auch, wenn sie aus Holz, Glas oder Marmor sind.
Von Heidemarie Klabacher
Der Kunstraum St. Virgil zeigt eine Ausstellung, die die enge Verbindung zwischen „Natur und Kunst“ im Werk von Wilhelm Scheruebl deutlich macht, auch wenn die „Natur“ in diesem Falle nur mit getrockneten Mariendisteln im Gipsabguss einer Marmorschale vertreten ist. Mit Sonnenblumen haben indirekt aber auch die Disteln zu tun: Mit einem „Sonnenblumen-Projekt“ war er einmal nach Schottland eingeladen und dort war es für Sonnenblumen zu kalt, erzählt Wilhelm Scheruebl. (Wunder, dass es in Salzburg im Hof der Neuen Residenz klimatisch funktioniert hat.) Arnika oder Mariendistel waren Alternativen für raues nordisches Klima. Er habe zur Mariendistel gegriffen, ohne zu wissen, dass sie das Schottische Nationalemblem ist: „Die Schotten waren einfach weg vor lauter Begeisterung.“ Schräges Detail am Rande: Als er wieder einmal etwas mit Mariendistel machen wollte, war die Einfuhr der Samen plötzlich verboten. „Aber man kriegt sie als Kanarienvogelfutter.“
In der Schau in St. Virgil sind zahlreiche Zeichnungen und Aquarelle zu sehen, zahlreiche Pflanzen- oder Blumenbilder, vergangene temporäre Skulpturen, dazu abstrakte Arbeiten, denen ganz konkret etwa ein Tennisnetz zugrunde liegen kann. Staunend steht man vor dem fein ziselierten Dokument von etwas noch Vergänglicherem als Sonnenblume oder Mariendistel: Was ausschaut, wie Eisblumen auf Fensterscheiben, SIND Eisblumen, denen Scheruebl - wie er sagt nach vielen vergeblichen Versuchen - auf Aquarellpapier eine Art temporärer Unvergänglichkeit hat schenken können.
Handfest, wenn auch nur aus Gips, ist die Schale, in der die Mariendisteln malerisch arrangiert sind. „Wenn man mit den Dingen (Kunstwerken) lebt, gewinnen manche an Kraft, manche verlieren an Kraft. Wenn mich was belästigt, zerstöre ich es, bevor ich es in den Dialog gebe. Diese Schale ist immer stärker geworden.“
Die Marmorfassung des Gipsabgusses hat Heimstatt gefunden in einem spektakulären (von der LP Architektur entworfenen) Privathaus in Embach. Eine andere Scheruebl-Schale ist das Taufbecken der Pfarrkirche Puch, deren Altarraum der Schüler von Bruno Gironcoli gestaltet hat. Die Marmorschale ruht auf einem schlichten Holzkubus, dessen Struktur – ein unregelmäßiges zellorganisch-natürlich wirkendes Loch- oder Wabenmuster sich im Ambo und im Altar wiederholt. Wie die Marmorschale, ruhen auch Lesepult und Altartisch aus Marmor auf dieser Holzskulptur, die mit längerer Betrachtung immer stärker an das Schleierbrett einer Barockorgel erinnert. Aber wohl nur Umfeld des barocken Hochaltares.
Ganz ähnlich im „Muster“ wirkt nämlich – zurück im Kunstraum St. Virgil – eine Glasplatte, die zu Wilhelm Scheruebls Glasfenstern im „Pongauer Dom“ in St. Johann gehört. „Das ist eine alte Glasbläsertechnik, Schwarzlot. Schmelzfarben werden, in mehreren Durchgängen, aufgetragen und jeweils bei 1200 Grad gebrannt.“ Es ist durchgefärbtes Glas, das auf Platten von maximal achtzig mal achtzig Zentimetern geblasen werden könne, erklärt Wilhelm Scheruebl. Betrachtet man die Fenster der Pfarrkirche in St. Johann bei eingeschalteter Innenbeleuchtung Licht in Dämmerung oder Dunkelheit von außen, kommt das Konzept – vom Dunkel zum Licht, vom Violett zu Gelb – Richtung Altarraum - zur faszinierenden Wirkung. Im hellsten Fenster entdeckt man wieder Pflanzen-Fragmente. Vergangene Skulpturen diesmal wirklich handfest unvergänglich gemacht.