Unschuld vom Lande
KAMMERSPIELE / DER TRAFIKANT
31/01/16 Ein „Roman mit bösem Zauber“, konnte man in der FAZ lesen über Robert Seethalers Roman „Der Trafikant“. Diese Geschichte, die wie eine biedermeierliche Burleske beginnt, aber bös endet, präsentiert das Landestheater als Dramatisierung in den Kammerspielen. Eine Uraufführung.
Von Reinhard Kriechbaum
Blitz und Donner in der ersten Szene, und das ist nicht bloß das Wetter. Da ist einer gestorben im Dorf, von dem der 17jährige Franz in dieser Stunde erfährt, dass er sein Vater war – oder auch nicht. Schlecht jedenfalls, weil jetzt die monatliche Geldzuweisung ausbleibt und Franz in die Hauptstadt muss, zum Geldverdienen. Der Herr Trsnjek dort ist seiner Mutter „noch etwas schuldig“, wie es eindeutig zweideutig heißt. So ist die Stelle als Trafikantenlehrling für Franz gesichert.
Als männliche Unschuld vom Lande kommt er nach Wien, lernt im Prater eine junge Dame kennen, die zwar auch vom Lande, aber keine Unschuld ist. Und Franz' Wege kreuzen sich mit denen des Professors Sigmund Freud, der sich mit Rauchwaren eindeckt. Ist er der richtige Ratgeber in Liebesdingen? „An den Klippen zum Weiblichen zerschellen selbst die Besten von uns“, weiß der alte Herr, was dem Jungen eher nicht weiter hilft.
Geeigneter zum Erwachsenwerden ist schon die Welt rundum. Gerade greifen die Nazis nach der Macht, der Trafikant Trsnjek wird als „Judenfreund“ denunziert, kommt in Haft und dort um. Franz ist plötzlich verantwortlich für die Trafik. Der junge Mann ist aufrichtig, geradlinig – und politisch der reine Tor.
Der österreichische Autor Robert Seethaler bedient im Prinzip die „Bockerer“-Folie, nur dass der „Unpolitische“ in diesem Roman unter die Räder kommt. Er, der sich seine Unschuld bewahren will, hat die allerschlechtesten Karten.
Regisseur Volkmar Kamm hat die Spielfassung gemacht für die Kammerspiele und als sein eigener Bühnenbilder ein rasant sich drehendes Ringelspiel bauen lassen: Auf jeder Seite kann man eine Wand hochziehen, das sind die engen Spielorte. Wenn sich das Ringelspiel dreht, und das tut es schnell und oft, kommt ein Panoptikum oder besser: Pandämonium von zwielichtigen Typen vorbei – es ist fast immer Sascha Oskar Weis, mit weiß geschminktem Clownsgesicht und manchmal sogar mit roter Nase. Mit den meisten von diesen eloquenten Typen ist nicht gut Kirschen essen, es sei denn, man hätte ein Hakenkreuz angesteckt.
Volkmar Kamm setzt aufs Tempo, auf rasche Szenenwechsel und Überschneidungen. Sigmund Freud residiert vor dem Hieronymus-Bosch-Bild „Der Garten der Lüste“. Subtil ist das nicht, wie überhaupt die Dramatisierung und ihre Umsetzung eine gewisse Prallheit auszeichnet. Das sollte man aber positiv sehen, es entspricht dem burlesken Einschlag, der die literarische Vorlage ja auch auszeichnet. Als Theaterstück ist „Der Trafikant“ so unprätentiös wie als Roman.
Hanno Waldner ist Franz – der Neugierige, der Unkomplizierte, der Einfältige. Man täte ihm eh die Daumen halten für seine hauptstädtische Trafikanten-Karriere, wenn man nicht zu gut ahnte, dass er sich mit seiner Arglosigkeit bald in die ärgste Misere bringen wird. Britta Bayer ist die Mutter, liest Ansichtskarten und Briefe. Sie hat sich im Salzkammergut mit Männerbekanntschaften gut über Wasser gehalten – nicht viel anders, aber mit ruralerem Flair wohl als Anezka (Nikola Rudle), die sich's blond und temperamentvoll mit den Männern richtet. Walter Sachers ist der alte Trafikant Trsnjek, der Zeitungen so zu lesen gelernt hat wie das Wesen seiner Kunden oder die Nazi-Seele seines Nachbarn, des Fleischhauers (ein Bockerer in der urbösen Variante).
Und dann ist da Axel Meinhardt als Sigmund Freud, ein brummiger alter Bär, der altersweise doziert: „Die Liebe ist immer ein Irrtum.“ Franz, verwundert: „Sie haben eine Frau und eine Tochter.“ Darauf Freud: „Ja!“