…dass es so nicht geschehen sein wird
SCHAUSPIELHAUS / RECHNITZ (DER WÜRGEENGEL)
04/03/15 „Wir alle werden gewusst haben, wie sich Eltern und Großeltern verhalten hätten sollen.“ In ihrem Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)“ schraubt sich Elfriede Jelinek durch Konjunktiv-verbrämte Vorvergangenheit und Vorzukunft. Das sagt viel aus über den wenig tragfähigen Grund, auf dem wir uns beim Blick in die Zeiteschichte bewegen.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Boten berichten dies und das, aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie haben ein Edelweiß am Revers ihrer Sakkos. Und ihre Münder sind geschminkt wie jene von Weißclowns. Aber vom Anfang an schlecht geschminkt, so als ob etwas grundsätzlich danebengegangen wäre. Das Ungeheuerliche schwingt mit, auch wenn es harmlos klingt. Und wenn sie auch Unfassbares andeuten, weiß man nie ob sie womöglich mit Entsetzen Scherz treiben.
Entsetzen ist durchaus angebracht: Rechnitz liegt im Burgenland, nahe Oberwart. Seit ein paar Jahren gibt es dort eine Gedenkstätte. Eine der Schau-Vitrinen ist bewusst leer gelassen worden. Warum? Man weiß zwar um das Massaker an ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern an diesem Ort. Das Massengrab der 180 in den allerletzten Kriegstagen Ermordeten ist aber nicht wieder aufgespürt worden. Die kurz nach dem Kriegsverbrechen einmarschierte Rote Armee hat die Grube zwar geöffnet, es gab einen Prozess, aber Augenzeugen sind rätselhafterweise umgekommen oder hatten sich längst ins Ausland abgesetzt, in die Schweiz, nach Argentinien. Es ist im Wortsinn Gras über die Sache gewachsen.
„Wir Boten sorgen dann dafür, dass es so nicht geschehen sein wird“, heißt es einmal in Jelineks Text. Was „gern geschehen“ ist, wird „später ungern geschehen sein“. Es ist nun mal so: „Wir stimmen die Geschichte mit uns ab.“ Alles eine Sache der Perspektive. Die Jelinek verändert die sprachlichen Fluchtpunkte, greift nach mehrdeutigen, doppelsinnigen Worten. Der Hahn kräht nicht drei Mal, sondern er wird drei Mal aufgezogen am Gewehr, und dann wird nach Kräften verleugnet…
Wenn die Überlieferung stimmt, dann war die Begebenheit in Rechnitz ein Massaker schier unglaublicher Art. Eine Abendgesellschaft im Schloss einer Gräfin Batthyàny-Thyssen hat sich, sozusagen als Mitternachtseinlage, ans Abknallen der armen Teufel gemacht. Von „hohlen Menschen“, ist bei Jelinek öfters die Rede, „the hollow men“ in Anlehnung an T. S. Eliot: ausgehöhlt, entleert aller Menschenwürde, ausgeronnen in die Nicht-Erinnerung.
Peter Arp schickt fünf Boten ins Rennen: Ulrike Arp, Bernadette Heidegger, Christiane Warnecke, Marcus Marotte und Olaf Salzer. Würden Sie diesen „Boten“ einen Gebrauchtwagen abkaufen? Aber ihren Geschichten – vielleicht auch Geschichtsklitterungen – glauben, das schon?
Isabel Graf hat eine kreuzförmige Spielfläche gebaut und an einer Seite eine Art Show-Bühne. Die Performance heißt Zeitgeschichte und der Inhalt soll uns nachhaltig irritieren: Wem kann/soll/darf man was glauben oder nicht? Von spielerisch bis aggressiv reicht der Tonfall. Der Jägerchor aus dem „Freischütz“ kann schon ins Stampfen von Nazi-Stiefeln und zum Hitlergruß führen.
Peter Arp hat sich als Regisseur zurückgehalten, belässt dem Text das Fragmentierte und vor allem das Sprunghafte. Es ist ja ein Stück, das wüst mit Assoziationen spielt. Gewissheiten gibt es freilich auch: „Es können nicht alle Opfer sein wollen, wir brauchen jeden Täter, den wir kriegen können.“ Auch wahr. Und schon fast eine apokalyptische Drohung: „Mein Charakter ist dauerhafter als meine Meinung.“
Es schwebt über all dem Tragischen, dem verstörend Burlesken, dem unverschämt Geradlinigen oder tollpatschig Ausweichendem immer die Anmutung des „Wahrscheinlichen“, und in diesem Wort steckt eben Wahrheit ebenso wie Schein. Was für ein Glück für die Protagonisten damals: „Das Grab ist dauerhaft still“, und „das ganze Dorf schweigt“. Bundeshymne, Licht aus.