… da Operettenfiguren Tragödie spielten
DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT / STEINHAUER
24/06/14 „Wie ein Mann wollen wir uns mit fliehenden Fahnen an das Vaterland anschließen in dera großen Zeit. Mia füan einen heiligen Verteilungskrieg füan mia. Ein jeder von euch soll zusammenstehen wie ein Mann. Wie ein Phoenix stehn ma da, den’s nicht durchbrechen werden, dementsprechend. Mia san mia.“
Von Heidemarie Klabacher
Schon in den ersten Minuten der „Letzten Tage der Menschheit“ ist soviel Dummheit und Infamie konzentriert, dass der Atem stockt. Wenn der Schauspieler Erwin Steinhauer dem Volk aufs Maul schaut und uriger „mundelt“, als je ein Edmund Sackbauer, hat das wohl immer auch etwas Komisches. Vor allem aber hat es etwas Beängstigendes. Alle Sprüche, Dummheiten und Gemeinheiten – „die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden“ – sind wörtlich gesprochen worden, wie Karl Kraus selber im Vorwort schreibt. Das ist beängstigend genug.
Doch noch beängstigender: Nicht wenige der dummen Gemeinheiten und gemeinen Dummheiten á la 1914 scheinen in immerhin vergleichbaren Worten 2014 auf Plakaten gewählter Parteien oder in klein- und mittelformatigen Zeitungen zu stehen... Karl Kraus lässt uns Heutigen die Haare zu Berge stehen. Doch würden wir Heutigen ihm nicht auch die Haare zu Berge stehen lassen – wir, die wir nur wenig dazugelernt haben…
„Die letzten Tage der Menschheit“ sind akteuell wie je - und stehen im Gedenkjahr 2014 denn auch auf dem Schauspiel-Programm der Festspiele. Premiere im Landestheater wird am 29. Juli sein. Längst Furore gemacht hat das im Mai erschienene „Klangbuch“ aus dem Mandelbaum Verlag.
Ein Knacksen, wie aus einem alten Radio. Ferner Kanonen-Donner, auf- und abschwellendes Heulen, kraftlos dennoch beängstigend. Dann die ersten Takte der Kaiserhymne, fahler Abglanz, wirrer Tanz. „Erster Akt. Erste Szene. Wien, Ringstraßenkorso, Zirk-Ecke. Fahnen an den Häusern. Vorbeimarschierende Soldaten werden bejubelt. Allgemeine Erregung. Es bilden sich Gruppen.“ Erwin Steinhauer leiht vielfarbig menschelnd allen seine Stimme: Zeitungsausträgern, Volksrednern, Dirnen, Hausmeistern, Soldaten oder Grafen. Die im untadelig distanzierten Ton eines Nachrichtenansagers gesprochenen Aktangaben und Szenenhinweise machen den Irrsinn noch drastischer.
„Untermalen“ ist nur ein Aspekt dessen, was Georg Graf (Blasinstrumente), Pamelia Kurstin (Theremin), Joe Pinkl (Blasinstrumente, Klavier) und Peter Rosmanith (Perkussion) zum Gesamtkunstwerk – ein solches ist dieses Klangbuch - beitragen. Eher ist es ein musikalisch-akustisches Akzentuieren der einzelnen Szenen. Die Musik changiert zwischen Franui’ und Schönberg’schen Volkslied- und Walzerbearbeitungen. Eine reizvolle immer wieder beängstigende Collage.
Eine Aufführung des Dramas würde „nach irdischem Zeitmaß etwa zehn Abende umfassen“, schreibt Karl Kraus in seinem Vorwort, das im buchmacherisch liebevoll und detailreich gestalteten Klangbuch nachzulesen ist. Die Gesamtspielzeit der zwei CDs umfasst 69 bzw. 43 Minuten. Erwin Steinhauer hat das „Marstheater“ - dem laut Kraus die Theatergänger dieser Welt nicht standzuhalten vermögen - auf quasi menschliches Maß komprimiert. Und wohl gerade mit dieser rein quantitativen „Fassbarkeit“ haben er und das Ensemble mit dem Ganzen besondere Intensität verliehen.
Noch einmal Karl Kraus: „Die Mitwelt, die geduldet hat, daß diese Dinge geschehen, die hier aufgeschrieben sind, stelle das Recht, zu lachen, hinter die Pflicht, zu weinen. Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen; ich habe gemalt, was sie nur taten. Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate. Sätze, deren Wahnwitz unverlierbar dem Ohr eingeschrieben ist, wachsen zur Lebensmusik.“