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Zu Haus sind wir daheim...

LANDESTHEATER / KAMMERSPIELE / JELINEK

01/10/23 ...aber auch dort nicht gefeit vor einem „neuen König“. Oder besser gesagt: Gerade dort sind wir besonders anfällig für einen „Führer“, eine starken Mann, wie ihn erschreckend viele Menschen herbeisehnen. – Wolken.Heim und Am Königsweg in den Kammerspielen. Ein alter und ein eher neuer Text von Elfriede Jelinek wurden zusammenmontiert.

Von Reinhard Kriechbaum

Ein einfältig-glückseliges Zahnpasta-Lächeln haben sie drauf. Es ist Weihnachtsabend, im Puppenheim herrscht Heile-Welt-Stimmung bis zum Geht-nicht-Mehr, und zu einer solchen Idylle gehört eben auch ein ewig gestriger Alter, den Regisseur Johannes Ender als Opa Hoppenstedt à la Loriot zeichnet. Hier, in der Gestalt von Marco Dott, wirkt er noch viel echter als beim Altmeister deutsch-bürgerlicher Komik.

Den Kuckuck hat Elfriede Jelinek 1988 aus Wolken.Heim – einer ihrer frühen „Textflächen“ – rausfallen lassen. Statt der griechischen Vogel-Illusionswelt hat sie aus literarischen Versatzstücken eine Kleinbürgerhalbwelt gebaut. Allerlei deutsche Dichterei hat sie dafür durch den Fleischwolf gedreht und mit der ihr eigenen sinnverdrehenden Hinterlist gegen die Deutschtümelei verwendet. Damals ging's ihr eher um die Anklage nationalistischer Selbstgefälligkeit, Überheblichkeit und Vergangenheitsleugnung. „Wir Deutschen müssen auch offen für uns sein können.“

Vielleicht ist die Jelinek, wenn sie ihren eigenen Text heute liest, verblüfft und wahrscheinlich beängstigt zugleich, wie gut viele Sätze in unsere rechtsdrehende Gegenwart passen. 2017, also fast drei Jahrzehnte nach Wolken.Heim, ist Am Königsweg entstanden, unter dem Eindruck der Trump-Wahl. Die Textmontage wirkt so plausibel, also ob's ein Stück wäre.

Der „neue König“ jedenfalls sitzt plötzlich mit bei Tisch. Er geriert sich so, als ob er seit je her dazugehörte, und er wird auch entsprechend hofiert. Er spart nicht mit messianischer Selbstbeweihräucherung: „Ich bin die Wahrheit und das Leben. Wer mir nicht nachfolgt, ist gefeuert.“ Ein Führer, der „nicht töten, sondern aufbauen“, keine Mauern, sondern „physische Infrastruktur“ errichten will. „Die gefährlichen Führer waren schon“, beruhigt einer sich selbst und die anderen. Was für ein Irrtum! Brechts Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui fällt einem spontan ein zu Elfriede Jelineks wüster Trumpiade. Hat 1941 ebenso wenig bewirkt wie heutige Nobelpreisträgerinnen-Literatur gegen das Erstarken von Populisten allerorten. Immerhin: eine klare Sicht mit klarer Stimme geäußert.

Die Jelinek formuliert genau. Schon der saloppe Titel Am Königsweg (eben nicht „auf dem“ Königsweg) ist entlarvend. Entlang der Karrierewege von Polit-Egomanen blökt argloses Stimmvieh, Ja-Sager und Nicht-Widersprecher stehen Schulter an Schulter. Solche sind die Familienmitglieder aus dem Wolken.Heim, auch wenn sie gelegentlich zaghaft aufwachen aus ihrer Lethargie. Protest wird weggeredet, niedergeknüppelt oder niedergestochen. „Den Stimmlosen ein Stimm-Los geben“, das will auch der „neue König“. Das funktioniert fatal gut, der wüste Populist kriegt sie alle herum.

Elfriede Jelinek bedient sich literarischer Zitate sonder Zahl und sie paraphrasiert wollüstig. Regisseur Johannes Ender versucht sie noch zu übertrumpfen. Was er und seine Ausstatterin Hannah Landes alles an Anspielungen und Zitaten unterbringen an dem zweieinhalbstündigen Abend, von Loriot bis Dracula! Der „neue König“ ist ein Verhetzer und fördert die Gewalt. „Ein Königreich für eine Tat – aber nicht meines“, sagt er. Er ist ein Blutsauger, vor dem es kein Entrinnen gibt. Gregor Schulz ist zuerst ein jovial-schlacksiger Seelenfänger, dann eben ein Vampir, der sich nicht mit dem Lebenssaft einer Ratte zufrieden gibt.

Eine Steigerung ist immer möglich. Der König, der sich bald einen ordentlichen Wamst angefressen hat als Neo-Familienmitglied, mutiert zum Tod selbst. Der Totentanz wird lustvoll zelebriert. Trigger-Warnung im Programmheft: „Explizite Darstellungen von körperlicher Gewalt, Suizid und Mord.“ Damit ist nicht zu viel versprochen.

Zurückhaltung kann man dieser Inszenierung nicht nachsagen. Eher schon, dass den ohnedies kräftigen Sprachbildern der Jelinek noch allzu viel draufgesetzt wird. Die Bilder überwuchern nicht selten den Text, das Doppelbödige in den Formulierungen kommt zu kurz. Vielleicht entsteht gerade deswegen der Eindruck von Langatmigkeit.

Das Schauspieler-Team scheint jedenfalls zur Übertreibung animiert, das aber konsequent und mit Leidenschaft. Matthias Hermann, Tina Eberhardt, Martin Trippensee und Leyla Bischoff: eine Familie, wie sie im Musterbuch für Kabarettisten steht. Wahrscheinlich also „normale“ Menschen, für die gilt: Winker raus und rechts abbiegen. Ist ja gesellschaftsfähig derzeit.

Aufführungen bis 29.12. in den Kammerspielen des Salzburger Landestheaters – www.salzburger-landestheater.at

Bilder: SLT / Christian Krautzberger

 

 

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