Die Leichen in der Blackbox des Lebens
SCHAUSPIELHAUS / DAS PERFEKTE GEHEIMNIS
17/12/22 Früher haben Autoren von Screwball-Comedies darüber nachdenken müssen, wie sie einen Plot drehen und wenden, damit immer die falschen Leute durch die Türen kommen. Und die Bühnenbildner mussten Türen in ausreichender Zahl bereitstellen.
Von Reinhard Kriechbaum
Im Mobiltelefon-Zeitalter ist das nicht mehr unbedingt notwendig, denn diese Dinger sind ja allgegenwärtig und damit hängen andauernd die falschen Leute überall virtuell herum. Diese schlechte Eigenschaft der „Blackbox des Lebens“ machte sich der italienische Filmemacher Paolo Genovese für seinen erfolgreichen Streifen Perfetti Sconosciuti – wörtlich „Perfekte Fremde“ – zunutze. All die unangenehmen Leute, die in Boulevardkomödien zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt unerwartet da stehen, mischen hier via SMS, WhatsApp oder Anruf eine ausgelassene Gartenparty auf.
Kein Wunder: Das perfekte Geheimnis, von dem alle acht Protagonisten minderstens eines, wenn nicht deren mehrere sorgsam hüten, fliegt auf. Eines nach dem anderen, in knapp Fünfviertelstunden. Es geht also rasant dahin mit den sich überstürzenden Peinlichkeiten. Mord und Totschlag werden aber in der temperamentvollen Runde scheinbar innig miteinander vertrauer Freunde schließlich doch souverän vermieden.
Die Gastgeberin Eva (Christiane Warnecke), von Beruf Psychoanalytikerin, hat die fatale Idee: Alle legen ihre Handys einen Abend lang offen hin, und alles, was da so piepst oder sonstwie sich vorlaut bemerkbar macht, wird coram publico erledigt. Da schwant nicht nur jenem in der Runde Böses, der von seiner Geliebten immer Schlag Mitternacht ein pikantes Foto gepostet kriegt. Der unauffällige Handy-Tausch mit einem Freund, dem Junggesellen, ist trotzdem zu unüberlegt, denn auch der bekommt pikante Nachrichten. Auf dieser Ebene geht’s dahin und in kürzester Zeit so rund, dass alle dramatisch unrund werden.
Hat Eva denn gar kein Geheimnis, weil gerade sie ein solches Spiel vorschlägt? Dass das mit der anstehenden Brustvergrößerung auffliegt, ist ein unerwarteter Kollateralschaden, aber gut für einige Pointen – sollte man als Psychoanalytikerin nicht so weit mit sich selbst im Reinen sein, dass Schönheits-Schnipselei obsolet ist? Und warum operiert nicht ihr Ehemann, der Schönheitschirurg? „Busen à la carte“ ist vielleicht ehe-psychohygienisch doch nicht das Wahre. Der Gatte wählt schließlich auch nicht die eigene Frau als Analytikerin. Eva hütet dann doch auch ein amouröses Geheimnis, aber gerade an diesem Abend hat sie überhaupt keine Angst vor einem unerwarteten Anruf. Nach dem letzten Satz im Stück finden wir bestätigt, warum.
Regisseur Sarantos Georgios Zervoulakos ist Grieche. Als Südländer weiß er wohl aus erster Hand, wie es zugehen könnte bei einer Party in Italien, die aus dem Ruder läuft. Uns weniger heißblütigen Menschen am Nordrand der Alpen wird da schon ein wenig schummrig und wir könnten auf die Idee kommen, dass da maßlos übertrieben wird. Aber das hat System. Auf der Bühne wird wüst gestikuliert, verhaltener Witz ist weder eine Eigenschaft des Plots noch der Inszenierung. Die Pointen sitzen wie Dolchstöße und das Spiel der achtköpfigen Mann- und Frauschaft ist gut getimt. Man denkt an einen Runde um Runde verbissen geführten Boxkampfes, und das nicht nur wegen des Gevierts, das hier aber nicht von elastischen Bändern, sondern von Ballustraden umgrenzt wird.
Acht so schräge wie liebenswerte Typen, wir zählen hier nur die Namen auf: Neben Susanne Warnecke spielen Petra Staduan, Magdalena Oettl und Johanna Egger, weiters Patrick Seletzky, Wolfgang Kandler, Enrico Riethmüller und Olcayto Uslu. Sie alle zeigen Totaleinsatz.
Ende der Soap opera, vor der wir das Handy brav ausgeschaftet haben. Wir gehen, ohne den Ton wieder zu aktivieren. Und wir legen das Ding künftig routinemäßig mit dem Display nach unten hin. Diese Lektion haben wir gelernt.
Aufführungen bis 25. Jänner 2023 – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese