Im Himmel auf den Brettern, die die Welt bedeuten
SCHAUSPIELHAUS / WIE IM HIMMEL
04/11/22 Der Film von Kay Pollak aus 2004 war ein echter Hit. Die Arche-Typen eines schwedischen Landchores haben menschelndes Gewebe freigelegt, das so gar nicht maniriert wirkte, obgleich es das natürlich war... Das Schauspielhaus bringt eine sehr gelungene Umsetzung des Filmerfolgs auf die Bühne.
Von Erhard Petzel
Wie dieses an Schnitten reiche Bildwerk mit dem einen Film auskostenden Timing auf eine Theaterbühne übersetzen? Das gelingt Regisseur Robert Pienz erstaunlich gut, wenn auch die volle Bühne von Ausstatterin Ragna Heiny immer erst geleert werden muss, bevor ein Szenenwechsel umgesetzt werden kann.
Das Team des Schauspielhauses schafft hier einen guten Rhythmus. Die Rollen werden in Wesen und Entwicklung so unmittelbar und klar ausgeführt, dass diese Impulse – Premiere war am Donnerstag (3.11.) – den ganzen Abend hindurch das Stück tragen und einen überzeugenden Kosmos aufbauen.
Das tut auch den Sentenzen gut, die im Film doch weidlich an der Wasserkante des Sentiments entlang schrammen. Wolfgang Kandler gibt einen zunächst so ziemlich von Komplexen geplagten Dirigenten-Superstar ab, der sich herzleidend nach einem massiven Burnout in die abgelegene Landgemeinde zurückzieht, aus der den damals Siebenjährigen Daniel die Mutter vor dem Mobbing der Kinder hinaus in die Welt der Kunst gerettet hatte. Wieder daheim will Daniel nur seine Ruhe und dem m Lebensmotto gerecht werden: Zuhören – ohne wirklich dazu zu gehören.
Antony Connor spielt den Stig, Pastor und Platzhirsch dieser Gesellschaft. Er begrüßt den Star in der alten Schule und wird ihm später abraten, das Amt des Kantors zu übernehmen, bei dem er auch den Chor leiten müsste. Das aber ist genau Daniels Intention, nachdem ihn der rührige Arne (Theo Helm) bereits dazu gewonnen hatte. Seine Arbeit am Menschen ist den Außenstehenden nicht geheuer und sie fürchten die sittliche Gefährdung ihrer Wertegemeinschaft durch den Künstlerfreigeist von außen, dem sie gründlich misstrauen. Diese Zerrissenheit in der Gemeinde bestimmt auch Probleme im Chor.
Die abgehalfterte vormalige Chorleiterin (Christiane Warneke) ist ein solcher Spaltpilz, während die selbstbewusste Pastorsfrau (Susanne Wende) als großer Kontrapart ihres Gatten zur wuchtigen Verteidigung des Chores antritt (womit das Thema Kirche und Sexualität durchgehachelt wird). Mit Lena (Johanna Egger) findet auch Daniel zur erotischen Liebe, nachdem die zwischenmenschliche im Chor passiert. Hussam Nimr gelingt ein beklemmend realer Alkoholiker und Schläger Conny, von dem sich Ehefrau Gabriella (Petra Staduan) emanzipieren muss.
Marcus Marotte hat als Holmfrid seinen großen Auftritt in der Empörung über durchlittenes Mobbing und wird von Olaf Salzers Erik aufgefangen, der sich outet als potentieller Partner. Dass der Chor unter Daniel inklusiv wirkt, zeigt sich nicht nur an der schwerhörigen Olga (Daniela Enzi), sondern besonders am behinderten Tore, in atemberaubender Natürlichkeit gelebt vom jungen Jonathan Zeilner.
Sein Vater Helmut setzt mit seinem Chor Klangscala den musikalischen Hintergrund. Das geht ganz natürlich, erfreut sich der Chor im Stück doch regen Zulaufs. Während die realen Chorleute sich in das Bühnengeschehen lustvoll einmischen, gibt das Schauspiel-Ensemble selbst einen beachtlichen musischen Komplex ab. Höhepunkt: Boehemien Rhapsody von Queen mit verteilten Soli. Aber auch Daniels Klang-Experimente zur Selbstfindung kommen überzeugend rüber.
Ein großer Wurf gelingt in der Schlussszene, da beim Auftritt zum Chorwettbewerb (in Salzburg) Daniel einer Herzattacke erliegt und es gerade zur Garderobe schafft, wo ihn die Walze aus Personalklang des selbständig agierenden Chores ins Jenseits geleitet. Was im Theater zunächst befremdlich wirkt: zweimal schälen sich aus dem Wurlklang Chorwerke heraus. Das wird zum Erlebnis, wenn diese in rhythmischer Zerdehnung zu einem ähnlichen Klanggeschehen führen wie in der Ausgangsaktion. Alles endet im zartesten Verhauchen. Mit einfachster Bühne und fundamentalen Mitteln des Theaters gelingt in der Regie von Robert Pienz eine beglückende Synthese aus Spiel und Musik, die ohne Zeigefinger und Holzhammer das Menschliche in Ausdruck und Kunst recht natürlich auf real erfahrbare Metaebenen hebt. Für dieses anspruchsvolle Vorhaben und dessen gelungene Umsetzung setzte es massiven Applaus.
Wie im Himmel – Aufführungen bis 23. Februar – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: SSH / Jan Friese