Feilschen auf koboldträchtiger Bühne
OVAL / JEDERMANN IM APFELBAUM
29/07/20 Schauplatz ist der Apfelgarten. Es spielen der reiche Jedermann und sein Butler Mammon. Hugo von Hofmannsthals wenig bekannter Ur-Jedermann wurde von Elfi Schweiger mit dem bekannten Jedermann verknüpft zu einem bewegenden Zweipersonen-Stück mit der Musik von Elvis Costello in der Regie von Andreas Gergen.
Von Erhard Petzel
Hofmannsthal arbeitete jahrelang am Jedermann-Stoff, der seit den mittelalterlichen Mysterien-Spielen auch in Salzburg präsent ist. Die Aufführung im Oval im Europark rekurriert auf eine erste Fassung von 1905 und einen alten englischen Druck. Dadurch ist die Handlung gerafft und auf die wesentlichen Linien reduziert. Uraufführung war am Dienstag (28.7.) im Oval im Europark. Im Zentrum steht die Lebensfreude Jedermanns. Als Kraftlackel will er leben, lieben, trinken und die Welt mit seinem Geld auf den Kopf stellen, auch wenn er seine Jugendlichkeit offensichtlich überschätzt. Er will auch gut werden, sich dafür aber Zeit lassen. Tut dennoch genug Gutes für die Werke zum schlussendlich erfolgreichen Zitieren. Jedermann selbst kann sein Wesen aus dem Leben in den Tod hinüberretten: die Welt als Schleier zum Hineinwickeln und Liebhaben.
Diese Metapher kann durch das einfache Bühnenbild von Regisseur Andreas Gergen direkt umgesetzt werden. Denn außer dem Himmel, der voller grüner Äpfel hängt (das Szenario im Ur-Jedermann ist ein über Apfelbäume hüpfender Tod) genügen auf schwarzleeren Bühnengrund Stuhl, Leiter und lange weiße Tuch-Bahn als Requisiten.
Das Leiter-Schleier-Zelt wird zerlegt und wieder zusammengebaut, zum Richtplatz geformt und zur koboldträchtigen Bühne, auf der Mammon den Jedermann als Marionette hampeln lässt. Mit dem Leichentuch über dem Kopf transformiert sich Mathias Schlung zum Jedermann-Teufel, der von seinen eigenen guten Werken geschlagen wird. Der Stuhl ist Auto und Untergrund für den Sitz-Tango der Sex-Buhlschaft.
Eine Stunde Aufschub kann sich Jedermann vom Tod erfeilschen, um Trost zu finden und sich an dessen Antlitz zu gewöhnen. Ziemlich genau diese Stunde teilt er mit uns. Eine everlasting Dimension des Everyman everywhere vermittelte Elfi Schweiger mit der Geschichte, dass Max Reinhardt im Exil zur Mitternacht von Weihnachten 1942 mit seinen schwarzen Studenten das Stück aufführte, das ihn seit 1911 begleitete. Wobei der Jedermann im Oval leichter und versöhnlicher daherkommt als sein reicher Vetter am Domplatz, weniger gestelzt und durch die Musik sanft getrieben. Aber um nichts weniger eindrücklich und beeindruckend. Eine erhebende Auferstehung aus dem viralen Niederschlag mit einem am Schlussapplaus hörbar glücklichen Publikum.
Einleitungen als Zweileitungen. Zunächst wird von Elfi Schweiger in Doppel-Conference mit Andreas Gergen zum Wesen des Projekts und seiner besonderen Umstände in Coronazeiten eingeleitet. Sie zeichnet als umtriebige Projekt- und Produktionsleiterin samt Textfassung verantwortlich, er als Regisseur und Ausstatter. Beide betonen den Akt des kulturellen Aufbäumens zur Projektfindung mit Berliner Probenhintergrund und Dauertestungen. Dann noch einmal eine Einleitung als Stückprolog im Pas de deux von Jedermann Mathias Schlung und Vasiliki Roussi, die Tödin, Schuldknecht, Mutter/Werke, Buhlschaft und Mammon in Personalunion verkörpert.
Von Spielbeginn an dominant eingesetzt ein Streichquartett mit innigem Salzburgbezug: Saskia Roczek, Georg Wimmer, Sarah Grubinger und David Pennetzdorfer. Die Musiknummern aus The Juliet Letters des Songwriters Elvis Costello sind mehr als nur eine Art Zwischenakt-Aufputz. Er experimentierte 1992 mit klassischen Elementen in seiner Musik und arbeitete dafür mit dem Brodsky Quartet zusammen. Freilich ist Mathias Schlung Schauspieler und in den Höhen nicht Costello, dennoch trifft er mit den Songs als kontemplative Arien nach jeder Szene zielsicher den Charakter und das Gemüt durch Hingabe, volles Timbre und stilsicheren Geschmack. Die Musikwahl bewährt sich bestens, unterstützt durch ihr vielfältiges stilistisches Erscheinungsbild und den verzaubernden Quartettklang nicht nur die Handlung, sondern geht eine Metaebene mit dieser ein.