Tumult auf der Chorus Line
SALZBURGER STRASSENTHEATER
16/07/20 Statt des Thespis-Karrens kurvt ein VW-Bus über den Stiegl-Rasen und speit das Oktett in roten Overall-Outfits aus. Werbe-Film-Reif. Aufbau, Chanson, Aufwärmen. Man lässt sich Zeit, um in Schwung zu kommen. Das Salzburger Straßentheater als Commedia-Revue ist ein Wurf unter dem retrospektiven Motto Singen wir das Beste draus.
Von Erhard Petzel
Der fehlende Wagen wird zum roten Faden der Aufführung, die sich als improvisierte Notlösung mit fast funktionslosem Kostümständer tarnt. Nach der Endlosschleife absurder Satzwiederholung, wonach man beginnen könne, weil für die erste Nummer kein Wagen benötigt würde, wird die Spielsituation zum Thema mit Tradition: In Obertrum habe weiland Eric Lebeau die Situation mit Chansons und französischen Charaden gerettet, nachdem der Wagen eine Stunde im Stau gesteckt habe. Damit wird auch gleich das Motto eingeführt: Die besten Nummern aus fünfzig Jahren Straßentheater würden abgesungen werden, woraus eine Revue mit zahlreichen Schlagern, mehr oder weniger originellen Sprachspielen und Witzen und sparsamer Rahmenhandlung entsteht.
Die Truppe um die Familie Clementi lässt sich – vielleicht nicht nur coronabedingt – auf das Risiko ein, ohne den sicheren Boden eines vorgegebenen Theaterstücks zu agieren. Das Zirkushafte mit clownesken Elementen scheint den fünf Schauspielern und drei Schauspielerinnen großen Spaß zu machen, trotz einsetzenden Regens, der zumindest für die beiden Gitarren keine optimale Option dargestellt haben wird.
Vor allem die Qualitäten als Vokalensemble können bei dieser Produktion voll zur Geltung kommen. Es ist ein wunderbares Erlebnis, dass ohne die geringste Verstärkung musiziert wird zur Gitarre, mit herrlichen A-cappella-Sätzen, harmonisch reichen Background-Chören oder simplen Chansons – solo und im Ensemble. Der klassische Primadonnen-Streit darf ebenso wenig fehlen wie burlesker Slapstick rund um die einzelnen Nummern. Bella Ciao nicht nur auf Chinesisch! So kommen alle zu ihrem mehr oder weniger großen Auftritt, während das Ensemble die Chorus Line abarbeitet. Das pubertäre Nesthäkchen (Paul Clementi) salbt mit juveniler Unschuld nach dem Schlussapplaus das Publikum noch ein mit Von guten Mächten treu und still umgeben. Man möchte ihm schon glauben.
Davor aber noch ein Verweis auf Goldoni, dessen Diener zweier Herren auf nächstes Jahr verschoben werden musste. Man darf mit Spannung erwarten, was dann die Truppe aus diesem abgehangenen Stoff zu zaubern imstand sein wird. Die Liebesszene ist Commedia dell‘arte pur. Vielleicht war das heurige Jahr ein gutes Moment des Ausprobierens und Ausreizens neuer Grenzen, nachdem solche unerwartet durch das Virus gesetzt wurden. Das eng zusammengespielte Ensemble (die weiteren Mitglieder: Thomas Pfertner, Anna Knott, Alex Linse und Larissa Enzi) scheint jedenfalls auf dem Sprung zu sein, den Wagen des Straßentheaters, so er wieder in Erscheinung treten wird, an neue Ufer zu katapultieren.