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Es ist laut und man sitzt da

DER MENSCHENFEIND / SCHAUSPIELHAUS

19/12/19 Dass die Menschen nicht so sind, wie sie sein sollten, ist kein Problem, außer für Alceste. Statt sich zu ändern, erklären sie ihn zum Menschenfeind und er nimmt an. Das Schauspielhaus lässt Molière auf die Bühne.

Von Franz Jäger-Waldau

„Du passt dich an, weil du dazu gehörst.“ Sein Freund Philinte (Simon Jaritz-Rudle) stellt Alceste (Antony Connor) das Paradox der Integration vor. Die ersten zehn Minuten des Stücks vergehen also im Streit. Die Welt stellt Alceste sich selbst in den Weg, aber Alceste weicht der Welt mit Masochismus aus: „Wenn ich verliere, soll mich das freuen“. Seine Welt ist eine Wippe, die mit jeder Hebung eine Senkung hinterlässt, die mit jeder Ungerechtigkeit die fehlende Gerechtigkeit beweist. Die Bühne (Agnes Hamvas) selbst ist bewusst instabil gebaut, der Boden schaukelt, die Wände sind durchsichtige Fadenvorhänge. Wer etwas zu sagen hat, muss sich in Gefahr begeben, damit zu fallen oder aufzusteigen.

Das Barock ist schwierig genug ohne Moral, aber Alceste hört nicht damit auf. Die Schwäche seines Menschenhasses ist die Liebe. Célimène (Kristina Kahlert) verkörpert alles Unmoralische, aber er vergibt ihr – und beschuldigt seine Zeit. Molière ist zweifellos das Beste an diesem Stück.

Molières 17. Jahrhundert ist schon länger vorbei, aber wirkt tot lebendiger, als mit modernen Mitteln wiederbelebt. Vor allem, wenn diese Mittel selbst seit gut zwanzig Jahren tot sein sollten. Ein Sonett wird nicht skandiert, sondern wird (von Bülent Özdil mit aller möglichen Demut) gerappt. Denn Rap gibt es im Barock nicht, Rap war am Anfang des Jahrtausends kurz modern. Außerdem macht er dabei Selfies, denn Menschen machen heute Selfies, also macht er Selfies. Und jemand sagt wieder „Ibiza“, also wird gelacht, damit niemand anderer Meinung ist.

Die ruhig gesprochenen Dialoge zwischen Figuren sind von Regisseur Peter Raffalt dramaturgisch vorbildlich angelegt. In ihren kann auf die Feinheiten von Molières Sprache und die von barocken Dramen vorausgesetzte Improvisation geachtet werden. Leider sind sie selten. „Es war zu viel Geschrei“, sagt ein Zuschauer zum anderen in der Pause. Zuerst schreien Figuren gegen einander, dann gegen die Musik. Ihre Worte verlieren dabei die Sprache, was nur geschrien Bedeutung hat, hat nur die Bedeutung von Geschrei. Und ja, Techno im Theater ist auch immer so ein Ding. Es ist laut , jemand tanzt und man sitzt da.

Die Übersetzung versteht Molières Humor und bringt ihn mit. Der Menschenfeind ist überraschend gut gealtert und hätte die erzwungene Verjüngung kaum nötig. Die Inszenierung funktioniert dort am besten, wo sie sich vom Stück tragen lässt, nicht umgekehrt.

Vorstellungen bis Februar 2020 - www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: SSH / Chris Rogl

 

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