Das Fin-de-siècle lehrt
SCHAUSPIELHAUS / MOULIN ROUGE
18/05/18 Es ist ein reizvolles Switchen zwischen den Genres, wenn der Roman „Moulin Rouge“ von Pierre La Mure in kaleidoskopischen Skizzen auf die Bühne kommt. Für die Uraufführung hat die Dramaturgin Alina Spachidis eine stimmige Grundlage geschaffen: „Nächte im Moulin Rouge“ ist eine Revue zum Leben von Henri de Toulouse-Lautrec und seiner Muse Lane Avril.
Von Erhard Petzel
Es ist auf erbauende und unterhaltsame Weise ein Lehrstück, das ein individuelles Leben in eine Charakterlandschaft stellt, die sich den Erwartungen zum Begriff des Fin-de-siècle bereitwillig öffnet, mit dem Charme melancholischer Heiterkeit vorgetragen, passend zum Bühnenerlebnis einer Revue.
Eric Lebeau, der später die Rolle Aristide Bruants verkörpert, eröffnet mit Taschenspielertricks und beweglicher, sonorer Stimme den reichhaltigen Reigen an Chansons, wobei er häufig die Handlung einzelner Szenen elegant abfangen und damit dem Abend zu federnder Leichtigkeit verhelfen wird. Zu Beginn gibt er weiter an Jasmin Rituper, die am aufgehängten Ring mit verwegenen Körperstellungen verblüfft und klar macht, dass hier nicht unprofessionell gestümpert wird. Immer wieder wird sie als La Goulue in ihrer Rolle Musterleistungen an Dehnung vollführen, nach der Pause in Schlaufen hängend darstellen, was man mit seinem Körper alles anstellen kann.
Ein wesentlicher Beitrag zur Stimmung kommt auch von Fabio Buccafuso am Klavier. Geschmackvoll findet er das richtige Maß an Tönen, Zitaten und Stilen sowohl für die Begleitung des Chansoniers wie eine emotional treffsichere Untermalung, beispielsweise im Spiel mit Offenbachs Cancan. Zu dieser beglückenden Qualität von Gesang, Akrobatik und Musik kommt eine geschlossene Ensembleleistung, wo jeder mit Lust und überzeugendem Engagement seine Rollen erfüllt. Regisseur Robert Pienz führt sein Ensemble mit feinem Sinn für Ausgewogenheit, sodass plumpes Outrieren oder sentimentales Überzeichnen keinen Platz finden.
Vor allem ist Simon Jaritz‘ Zeichnung des verkrüppelten Aristokraten Henri hervorzuheben, der auf Steckenpferd mit Vater oder im Bett mit Mutter Toulouse-Lautrecs Lebensszenen bis zum bitteren Tod durchspielt, einmal als verunfallter Teenager, einmal als schwer Alkoholkranker. Mit eingebogenen Füßen schleppt er sich durch die handbetriebene Drehbühne der Ausstatterin Isabel Graf.
Der Raum kann ist unterteilt in Quartale – Vor- und Hinterbühne des Etablissements, sowie Salon und Krankenzimmer bzw. neutraler Spielraum. Ähnlich intensiv wie Toulouse-Lautrecs Leben wird nur noch das von Jane Avrils dargestellt: anmutig und energisch gespielt von Kristina Kahlert als männerverschleißende Muse im Umfeld eines biografisch vorgezeichneten Rotlichtmilieus.
Die letzte Premiere der Saison am Schauspielhaus darf als überzeugende Leistung empfohlen werden. Das Stammensemble kann brillieren, jeder kann seine Stärken zur Geltung bringen, sodass ein breiter Bereich an Publikumsinteresse abgedeckt wird. Der Bildungsimpetus macht es für den Bildungsbürger interessant, ohne den Genusstheatergeher zu verschrecken. Als Schultheater empfiehlt es sich allerdings nur für höhere Jahrgänge. Um in das Thema einzusteigen, sollte man schon selbst annähernd erwachsen sein. Zwischenapplaus für einzelne Beiträge, kräftige Zustimmung am Schluss.
Aufführungen bis 21. Juni im Schauspielhaus – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: SSH/Jan Friese