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Unschuld doppelt missbraucht

UNIVERSITÄT MOZARTEUM / THE RAPE OF LUCRETIA

28/01/16 Ein schwarzer Kubus. Scheinwerferlicht macht die Wände transparent. Grad’ ist im Inneren eine Orgie im Gange (wir sind im Alten Rom). Später schleicht der Vergewaltiger durch die raffiniert angedeuteten Gänge ins Zimmer der schlafenden Lucretia. Der Kubus dreht sich und gibt den Blick frei auf ein irdisches Paradies in seinem letzten Augenblick.

Von Heidemarie Klabacher

Bühne und Musik, Gesang und Szene sind so untrennbar und virtuos miteinander verschmolzen, dass man sich ein anderes Setting für die Oper „The Rape of Lucretia“ von Benjamin Britten schwer vorstellen kann. Tatsächlich handelt es sich um eine gemeinsame Produktion der „Departements“ für Musiktheater, Bühnenbild- und Kostümgestaltung sowie Film- und Ausstellungsarchitektur. Der schwarze, kaaba-artige Kubus ist denn auch die Projektionsfläche, über die Bilder demonstrierender Menschenmassen flimmern werden. Von Martin Hickmann, einem gebürtigen Halleiner, sind Raumkonzept und Videoarbeit.

Die Geschichte ist schnell erzählt. Der etruskische Prinz Tarquinius vergewaltigt Lucretia, die tugendhafte Gattin des römischen Feldherrn Collatinus, die sich am nächsten Morgen vor den Augen des geliebten Gatten erdolcht. Für die von den Etruskern unterjochten Römer ist die Schandtat des Tarquinius der Auftakt zur blutigen Rebellion.

Im ersten Teil der Oper diskutieren die römischen Generäle Collatinus und Junius im Feldlager mit dem Etruskerprinzen die Tugendhaftigkeit, bzw. die Untugendhaftigkeit der Frau - einem, wie sie befinden, an sich unnötigen Geschöpf (lauter Huren). Als einzige Ausnahme gepriesen wird Collatinus' Ehefrau Lucretia. Im zweiten Teil galoppiert – unter überwältigend dynamischer Musikbegleitung – Tarquinius zum Landhaus Lucretias und versucht vergeblich, sie zu verführen...

Ronald Duncan hat das Libretto für Benjamin Britten nach einem Schauspiel von André Obey verfasst. Der Text – dankenswerterweise wird eine deutsche Übersetzung projiziert – ist voll hochpoetischer Sprachbilder. Seltsamerweise finden sich in dem „antiken“, seit der Renaissance in der Kunstgeschichte beliebten Stoff, einige völlig unmotiviert wirkende christlich-katholische Ergüsse.

Zwei Kommentatoren spielen im Grunde die Hauptrollen und heben mit ihren nüchternen Einwürfen das Geschehen auf eine episch-abstrakte Ebene: Den „Male Chorus“ sang bei der Premiere am Mittwoch (27.1.) der aus Ägypten stammende Tenor Hany Abdelzaher, den „Female Chorus“ die aus Russland stammende Sopranistin Anna Samokhina. Mit der Nüchternheit von Fernsehkommentatoren besserer Sender – Mikro und Texttäfelchen in der Hand – standen sie an ihren Redepulten zugleich am Rande und im Zentrum der Ereignisse.

Feldherr Junius nimmt angesichts der Leiche Lucretias dem Kommentator das Mikrophon aus der Hand und ruft das Volk zum Aufruhr: Einfacher und raffinierter kann die Vereinnahmung und Instrumentalisierung menschlichen Leides für politische Zwecke nicht gezeigt werden. Hermann Keckeis hat eine Regiearbeit für’s Musterbuch geschaffen.

Der simple schwarze Kubus – übrigens von Hand gedreht, wie der Regisseur beim Schluss-Applaus erzählte – fokussiert die inneren Konflikte auf ein Kammerspiel. Die darauf fallenden Videoprojektionen öffnen das Ganze und bringen die gesellschaftlich-politische Dimension ganz nebenbei ins Spiel.

Benjamin Brittens zweite Oper „The Rape of Lucretia“ ist eine Kammeroper für zwölf Instrumentalisten (Holzbläser, Klavier, Harfe, Schlagzeug und Streichquintett). Das Kammerorchester der Universität Mozarteum entfaltete unter der Leitung von Gernot Sahler den Ensemblepart zu betörender Klangfülle bei größter Präzision und Durchhörbarkeit. Den Sängerinnen und Sängern ist für ihre überragenden gesanglichen und darstellerischen Leistungen zu gratulieren – dem Ensemble genauso, wie jedem und jeder Einzelnen. Slavis Besedin sang bei der Premiere den Collatinus, Gunnar Nieland den Junius. Sergey Korotenko gab den gefährlich verführerischen und zugleich brutalen Prinzen Tarquinius.

Die russische Mezzosopranistin Ksenia Leonidova betörte mit überirdischer Entrücktheit und bewegender stimmlicher Präsenz und Klarheit. Ebenfalls aus Russland stammt Ruzana Grigorian, die die Rolle der treuen Dienerin Bianca stimmlich souverän und darstellerisch bewegend gestaltete. Als junge Dienerin Lucia ließ Eliana Piedrahita die Sonne aufgehen – für kurze Zeit vor Offenbarwerdung der Tragödie im Landhaus und auf Dauer im Herzen ihrer Zuhörer.

Die Opernproduktionen der Universität Mozarteum sind sängerisch und szenisch meistens überzeugend. Positive Erwartungen vor einer Premiere wurden immer wieder übertroffen – aber bisher noch nie so weit, wie von der Produktion der Britten-Oper „The Rape of Lucretia“.

The Rape of Lucretia – Aufführungen auch mit einer weiteren Besetzung - Donnerstag (28.1.) und Freitag (29.1.) jeweils um 19 Uhr und am Samstag (30.1.) um 17 Uhr im Großen Studio – www.uni-mozarteum.at
Bilder: Universität Mozarteum/Christian Schneider

 

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