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Platteln bis zum Allerletzten

 

PERFORMING NEW EUROPE / ALESSANDRO SCIARRONI

25/01/16 Auch das noch! Nur wenige Stunden nachdem Peter Fill auf der Streif triumphiert hatte, vergriff sich beim Salzburger PNEU-Festival ein weiterer Italiener an der heimischen Schuhplattel-Tradition und riss damit das Publikum im republic von den Stühlen.

Von Christoph Pichler

Auch wenn Alessandro Sciarroni selbst für „Folk-s. Will you still love me tomorrow?“ in Filzhut und Lederhose schlüpft, vom klassischen Volkstanz ist seine zeitgenössische Neuinterpretation doch weit entfernt. So begrüßt die ihre Plätze suchenden Zuschauer gleich ein fünfköpfiges Grüppchen, in dem neben dem Choreographen auch zwei weniger traditionell gekleidete Damen einen einfachen Grundrhythmus stampfen. Nach Erlöschen des Saallichts fliegen dann zwar die Beine und Arme in gewohnter Schuhplattel-Manier, doch statt Juchitzer sind nur kurze Kommandos zu vernehmen.

Das dem Programmheftchen beigelegte „Folk Manifesto“ sorgt zumindest für ein wenig Aufklärung. Hier wird keine festgelegte Choreographie abgespult. Die Tänzer reagieren aufeinander und auf die Soundimpulse, die Pablo Esbert Lilienfeld am Bühnenrand aus seinem Laptop jagt. So funktioniert der kleine Tanzkreis anfangs sogar blind. Bald reißen sich die fünf Performer jedoch die Klebebänder von den Augen, sprengen den Reigen und flitzen quer über die Bühne – stets getrieben vom selben Klatsch- und Stampf-Rhythmus.

Ein weiteres Grundprinzip verrät dann Klangzauberer Lilienfeld per Mikrophon: Hier wird getanzt, bis der Letzte geht. Zuschauer wie Performer können jederzeit den Saal verlassen, jedoch nicht mehr zurückkehren. Wie zur Demonstration macht sich ausgerechnet Alessandro Sciarroni selbst als Erster aus dem Staub. Nach einer kurzen Soloeinlage, bei der er sogar zum Akkordeon greift, es aber nur klackern und laut atmen lässt, schließt er sich nur für ein stummes Lebewohl der Gruppe an und verlässt kommentarlos die Bühne.

Seinem Beispiel zu folgen und in Erwartung weiterer ermüdender Wiederholungen den Zuschauerraum zu verlassen, sollte sich jedoch als Fehler erweisen. Denn mit dem Abgang des „Chefs“ gewinnt die Vorstellung noch einmal an Dynamik. In die Geräuschkulisse mischen sich nun verzerrte Gesangsfragmente, selbst Beats und irritierende Klatschmuster sind plötzlich nicht mehr tabu. Im verbliebenen Tänzergrüppchen bilden sich neue, intimere Konstellationen. Der volkstümliche Charakter der repetitiven Bewegungsmuster geht immer mehr verloren. Phasenweise entwickelt sich echte Disco-Atmosphäre und auch das Publikum fängt nun vermehrt Feuer und motiviert die Tänzer teils lautstark mit Klatschen und Johlen.

Trotz der Anfeuerungen dünnt sich die Performerriege langsam aus. So ist irgendwann auch der Platz am Laptop verwaist und tänzelt ein einsames Pärchen über die Bühne. Schließlich ist nur mehr ein Performer übrig, der sich zum persönlichen Finale noch „My Sweet Prince“ von Placebo auflegt, ehe er unter tosendem Applaus als Letzter das Feld räumt.

„Folk-s“ ist ein spannendes Tanzexperiment, das mit wenigen Grundprinzipien und minimal variierten choreographischen Elementen fast zwei Stunden lang unterhält – sofern man sich darauf einlässt und am Sitzplatz zumindest ebenso lange durchhält wie die sich bis zum Letzten verausgabenden Tänzer. Dabei erzeugt der stets wiederkehrende Klatsch- und Stampf-Rhythmus eine teils hypnotische Atmosphäre. Trotz aller formalen Strenge entwickeln sich intime ebenso wie komische Momente, und einzelne Bewegungen wecken bei der x-ten Wiederholung plötzlich unerwartete Assoziationen. Eine ungewöhnliche Schuhplattel-Session, die Lust darauf macht, sich auch mal wieder auf einen „echten“ Volkstanzabend einzulassen.

Bild: Szene / Andrea Macchia

 

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