Nero und seine Haberer
UNIVERSITÄT MOZARTEUM / POPPEA
03/02/15 „L´incoronazione di Poppea“ von Claudio Monteverdi kommt als Gewalt- und Sexorgie am Hof des dekadenten römischen Kaisers Nero daher. Doch der Zauber der Musik verleiht selbst den macht- und blutgierigsten Charakteren poetisch schillernde Vielschichtigkeit. Ein packendes Opernerlebnis unter der szenischen und musikalischen Leitung von Karoline Gruber und Gernot Sahler.
Von Heidemarie Klabacher
Alles Gauner! Alles Lüstlinge! Auch die Damen. Wie bewegend klagt doch die vornehme, schmälich betrogene Kaiserin der Welt und den Göttern ihr Leid. Wie bewegend und zu Tränen rührend ist der Abschied der Verstoßenen von Rom, Vaterland und Freunden: „Die Winde, die meinen Atem aufnehmen, sollen ihn im Namen meines Herzens nach Rom tragen und seine Mauern küssen…“ Welch schöne Klage hat der Librettist Giovanni Francesco Busenello für sie ersonnen - dabei ist diese Ottavia nichts anderes als eine Auftragskillerin.
Ihre Zofe Drusilla stört überhaupt nicht, dass ihr Ex-Lover Ottone seine Frau Poppea – jetzt die Geliebte des Kaisers - umbringen soll: Umso besser, dann kriegt sie ihn wieder. Poppea geht ohnehin mit Lust über Leichen - und ihre Amme Arnalta klatscht Beifall. Und das sind erst die Damen!
Nerone, ein gefährlicher Psychopath und noch gefährlicherer Despot, bringt ohnehin jeden um, der ihm nicht in den Kram passt, angefangen beim Philosophen Seneca, der ihm ins Gewissen reden, den Verzicht auf die Geliebte Poppea und überhaupt eine bessere Behandlung der kaiserlichen Gemahlin anempfehlen will. Und selbst Seneca soll Freunde verraten und verkauft haben.
Dazwischen geistern drei Götter herum. Das war noch so üblich, als Monteverdi seine letzte Oper geschrieben hat und die „moralische Korruption der Herrschenden“ nur verklausuliert anprangern durfte: Virtù und Fortuna zanken erfolglos mit Amor – und dieser hat es sich in den Kopf gesetzt, die Geliebte zur Kaiserin zu machen. Damit sind Vernunft oder Moral sowieso Matt gesetzt.
Genau wie heute? Das drastische Lehrstück von Verrat und Unmoral ist topaktuell. Nur der Gott Amor lässt sich von den Trägern der Unschuldsvermutung vor Untersuchungsausschüssen und Gerichten nicht länger bemühen. Dabei ist der Text vordergründig so poetisch „Ich habe mich in dir verloren und werde mich in dir wiederfinden, um mich erneut zu verlieren, teures Herz, denn ich will mich für immer in dir verlieren…“ Ob dass ein ehemaliger geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds und ein potentielles Vergewaltigungsopfer im Duett singen?
Regisseurin Karoline Gruber, seit 1. Oktober 2014 Professorin für „Musikdramatische Darstellung“ am Mozarteum, hat das Geschehen in recht drastischen, virtuos geschnittenen Bildfolgen auf die Bühne gebracht. Blood, Sweat & Tears nix dagegen. Sperma und Gift nicht zu vergessen. Die Studierenden der Abteilung Musiktheater werden einiges zum Kichern gehabt haben. Die Regisseurin entwickelt das – auf gut zwei Stunden ohne Pause komprimierte – wüste Treiben in einem Atem mit der Musik. Musikalische und sonstige Höhepunkte fallen zusammen. Der gnadenlose Realismus in der Szene steht in derart scharfem Kontrast zum hochpoetischen Text und zur vielfarbig klingenden und mitreißend lebendig phrasierten Musik… Kurz gesagt: Es bleibt einem die Spucke weg. Und das passiert im Konzert- und Opernbetrieb nicht so oft.
Dass namhafte Expertinnen und Experten für alte Musik am Mozarteum unterrichten, hat man gehört: Gernot Sahler wirkt mit einem nur zehnköpfigen Instrumentalensemble des Institutes für Alte Musik einen farbenprächtigen Klang-Grund. Die musikalischen Linien beredt phrasiert, strahlend der Klang, pointiert die akribisch genau gearbeiteten Rhythmen - ein Vergnügen, ein Genuß, dieser souverän geleitete und kundig musizierte Orchesterpart.
Eine ideale Grundlage für die in allen Rollen sängerisch und darstellerisch überzeugenden Sängerinnen und Sänger: Claire Austin als Poppea und Nutthaporn Thammathi als Nerone, Sofiya Almazova als Ottavia, Jennie Samuelsson als Drusilla, Aleksander Rewinski als Amme Arnalta (ein Hit auch darstellerisch) oder Thanapat Tripuvanantakul als Ottone. Auch vor allen Göttinnen und Göttern, Konsulen, Philosophen, Schülern und Pagen, vor allen Mördern und Poeten: Hut ab und danke!