Die ganze Welt, nicht nur himmelblau
LANDESTHEATER / IM WEISSEN RÖSSL
08/12/14 Es ist der in seiner Wirkung wahrscheinlich nachhaltigste Fernbefund der Musik- und Tourismusgeschichte: „Im Weißén Rössl" ist ja durch und durch berlinerisch – und doch wissen seit der Uraufführung 1930 alle: Im Salzkammergut, da kamma gut lustig sein…
Von Reinhard Kriechbaum
Wenigstens hat er es zu einem Grab in St. Wolfgang gebracht, der Komponist Ralph Benatzky. Das ist das Mindeste, womit man ihm danken konnte für einen schier unbezahlbaren PR-Input für die Region. Der muss damals, im Jahr der Uraufführung 1930 in Berlin, noch um einiges höher gewesen sein als heute, da man mit der Operette ja doch eher die blecherne Endzeit der Gattung assoziiert.
Schmarrn! Im Salzburger Landestheater punktet man jetzt mit einer Aufführung, die erstens handwerklich virtuos gemacht ist und zweitens dem Werk Gerechtigkeit widerfahren lässt. Es hat nämlich erheblich gelitten unter nachträglichen Bearbeitungen. Das (rekonstruierte) Original jetzt in Salzburg: Da kann man sich hinein versetzen in die hyperventilierende Endzeit der Unterhaltungskunst in der Weimarer Republik. Der Swing aus der Neuen Welt ist über den Ozean geschwappt und hat die Theatermacher der Zeit infiziert. Fürs „Weiße Rössl“ waren immerhin Leute wie Robert Gilbert, Bruno Granichstaedten und Robert Stolz weitere Text- und Musik-Einbringer. Eric Charell, so etwas wie Chef-Dramaturg des Ur-Rössl, konnte aus dem Vollen schöpfen. So geht Erfolg.
Man nimmt jetzt viele neue Eindrücke mit aus dem Salzburger Landestheater. Zum Beispiel jenen, dass die Musik deutlich tragfähiger ist als angenommen. Klar, „Das weiße Rössl“ ist Synonym für Gassenhauer wie „Die ganze Welt ist Himmelblau“ über „Es muss was wunderbares sein, von dir geliebt zu werden“ bis zu „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist“. Aber da ist – ein Lob den Stück-Rekonstrukteuren! – noch ein ganzes Bündel von Tanzeinlagen, die mit Originalität bestechen. Dirigent Peter Ewaldt und das Mozarteumorchester können da viel rausholen, und das tun sie merklich gut gelaunt. Es steckt harmonisch und in der Instrumentation allerhand drin, was für Musiker die Beschäftigung lohnt. Und das hört man an diesem Abend.
Sascha Oskar Weis ist der Zahlkellner Leopold und unglücklicher Liebhaber der Rösslwirtin Josepha Voglhuber. Fast gibt er eine Figur Nestroy’schen Zuschnitts ab. Sein „Zuaschau’n kann i net“ hat nichts von melancholischer Larmoyanz, sondern – wie die Rollenanlage überhaupt – eben ein gewisses Potential an Revoluzzertum. Beim „Aber meine Herrschaften, nur immer gemnütlich“ weiß dieser Kellner der Zwischenkriegszeit die Gewerkschaft hinter sich. Ja, Nestroy lässt grüßen, übrigens auch bei Randfiguren, von denen Werner Friedl als Professor Hinzelmann im Outfit von Albert Einstein gegen Schluss einen besonderen Moment der Nachdenklichkeit einbringt.
Die Urfassung des „Rössl“ verhilft jedenfalls der meist geflissentlich ignorierten Ironie zu ihrem Recht. Der Alltag damals war nicht arm an wirtschaftlichen Kalamitäten. Das wurde von der der Unterhaltungsindustrie keineswegs unter Zuckerglasur verborgen, sondern mit Pep und Schmiss quasi als ironisches Apercu serviert.
Da setzt Andreas Gergen mit seiner Inszenierung an: Er nutzt die Ernsthaftigkeits-Potentiale im Text, trimmt die Sache dann aber stets mit leichter Hand so, dass immer auch ein guter Schuss Parodie aufs Heute mitschwingt. Die ganze Welt ist eben nicht himmelblau. Ein Schwarzer ist im Team (er ist der Koch im Rössl). Wenn das Ballett zum Schuhplattler ansetzt, dann wird mehr als deutlich, dass da lauter Saison-Gastarbeiter tätig sind. Wie im echten Leben. Die beiden Bodyguards der Rösslwirtin in ihren weißen Knautschlack-Lederhosen muss man sich auch erst geben...
Die Meriten von Andreas Gergens Inszenierung liegen darin, dass sie dem Stück nicht die latente Ernsthaftigkeit nimmt, dass ihm aber auch der Humor nicht ausgetrieben wird. Keine Couplet-Liedzeile, zu der dem Regisseur nicht irgend eine kleine Pointe, ein augenzwinkernd serviertes Statement einfällt. Da hat auch der Herr in der Proszeniumsloge Anteil: Seine Sache sind die Kuhglocken, das Blöken der Schafe und was sonst noch alles an Geräschen notwendig ist am Wolfgangsee. Wenn es regnet, ist er auch dafür zuständig, und er macht es mit einer riesigen grünen Gießkanne vor dem Mikrophon.
Stichwort Mikrophon: Die Microports mögen wie ein Stilbruch erscheinen für diese Revue von 1930 – aber gerade im Miteinander von präzise serviertem satirischen Wort und der ihrer Qualität entsprechend aufgedrehter Musik erfüllen sie ihre Funktion. Viel genaue Text-Deklamation beim Sprechen und Singen kommt durch. Peter Ewaldt darf den Lautstärkeregler der Unterhaltungs-Symphonik weit nach rechts drehen.
Franziska Becker ist die Rösslwirtin, Simon Schnorr der Rechtsanwalt Dr. Siedler, Norbert Lamla der nörgelnde Berliner Wilhelm Gieseke. Als „Jodlerin“ hat Renata Vaithianathan die Lacher, aber auch die wachen Ohren immer auf ihrer Seite. Wie in dieser Aufführung die Optionen des Mehrspartentheaters genutzt werden, spricht nachhaltig für diese nicht immer gut beleumundete Art des Städtebühnenbetriebs.
Und wenn es auch nur vier Tanzpaare sind: Wenn einem zu den Begewegungsnummern so viel einfällt wie der Choreographin Kim Duddy, dann fügt sich das auch so zur schmissigen Revue. Stephan Prattes‘ Bühne ist aufgeräumt, man nützt die Drehbühne, um Requisiten herbei und schnell auch wieder wegzuschaffen.
In dieser Revue bekommen viele tolle Möglichkeiten. Da käme man mit dem Aufzählen zu gar keinem Ende. Marco Dott liefert als schöner Sigismund eine hinreißende Mischung aus Dandy und erwerbsmäßigem Herzensbrecher. Georg Clementi steht auch wieder mal auf der Bühne des Landestheaters, in der Doppelrolle als Kaiser (einer Puppe) und dessen Diener Ketterl. Das hat auch nicht wenig Witz. Die Jungdamenwelt (Lucy Scherer als Ottilie, Hanna Kastern als Klärchen) kann sich sehen lassen, und Dominik Tiefgraber ist ein bühnenpräsenter Piccolo.
Der exzessiv in die Szene eingebundene Chor ist nicht minder reich an farbigen Typen. Und wenn der Rössl-Ritt auch fast drei Stunden dauert: Sie vergehen wie im Nu.