Sir András lässt die Puppen tanzen
MARIONETTENTHEATER / ANDRÁS SCHIFF
14/12/23 Der Tiefe entsteigt ein kleines Heer, um den tapferen Soldaten mittels Erbsengewehr zu unterstützen. Der Feind, der bösartige Harlekin, rüstet ebenfalls auf und bastelt sich aus einem Zylinder einen Vorderlader. Selbstredend macht der brave Soldat das Rennen um die holde Maid. – Doch wir greifen vor.
Von Erhard Petzel
Der Flügel für András Schiff steht im linken Eck. Das Zentrum des Podiums im Großen Saal ist von einer einfachen Kulissenbühne besetzt, auf der die Ereignisse ihren Lauf nehmen werden. Doch zunächst steht die Musik imVordergrund: Es erklingen Schumanns Papillons und Debussys Children’s Corner, beides musikalisch wie technisch äußerst herausfordernde Stücke.
Vor allem die zwölf Episoden der Papillons, als op. 2 in den Jahren 1829 bis 1832 entstanden, lassen kein selbstzufriedenes Genießen zu. Kleinräumig wechseln musikalische Attitüden und Stimmungen in häufig extremen Kontrasten und ausgefallener Harmonik. Alle die Walzer, Tanzformen und rhapsodischen Stimmungsbilder Schumanns geben sich zu ihrer stupenden Virtuosität ziemlich verquer und stellen sich gegen ein Idyll von romantischer Musik. Debussy erweist sich als kongenialer Quergeist dazu, selbst wenn die sechs Sätze von Children’s Corner seiner 1908 dreijährigen Tochter Chouchou gewidmet sind.
Der Auftritt der Marionetten erfolgt mit der Wiederholung der Papillons. Thomas Reichert zeichnet für Figuren, Bühne und Inszenierung verantwortlich. Zu sehen ist am Mittwoch (13.12.) im Großen Saal des Mozarteums eine Wiederaufnahme durch die Salzburger Kulturvereinigung. (Premiere 2014. DrehPunktKultur hat auch damals berichtet). Eva Wiener, Philippe Brunner, Ursula Winzer und Edouard Funck führen die gesichtslosen Puppen an den Fäden. Die erzählte Geschichte greift auf die literarische Vorlage zurück, die Robert Schumann zu seinem Durcheinanderflattern auf einem Faschingsball inspiriert hatte.
Es ist eine Episode aus Jean Pauls Roman Flegeljahre, dessen Inhalt wird mit einer kleinen Einführung auf der Bühne und im Programmheft angerissen, für ein vertieftes Verständnis der schnell wechselnden Szenen sollte man seinen Jean Paul gelesen haben – aber wer hat das schon. Kurz gesagt: Es geht um das charakterlich kontrastierende Zwillingspaar Walt und Vult, das die innere Zerrissenheit eines romantischen Genies spiegelt. Auf einem Faschingsball werben sie um das MädchenWina – bis der Ball Schlag sechs zu Ende geht... Erstaunlich die Erfahrung, wie der musikalisch noch so starke Eindruck von András Schiffs meisterhaftem Klavierspiel zum Hintergrundelement mutiert, sobald das Auge mit Stoff versorgt wird.
Nach der Pause wird das Treiben dann so richtig bunt. Children’s Corner kommt nicht zur Wiederholung, sondern La Boîte à Jouxjoux, ein ähnlich gelagertes Stück von 1913, ebenfalls Debussys Tochter Chouchou gewidmet. Die Inszenierung für die Marionetten von Hinrich Horstkotte ist auch das eine Wiederaufnahme, die Premiere war 2010. Angeregt durch den Illustrator André Hellé entstanden Debussys Vier Bilder aus einer Spielzeugschachtel tatsächlich als Märchenballett für Marionetten, dessen Aufführung der Kriegsbeginn ein vorzeitiges Ende bereitete.
Im Zentrum der so stereotypen wie fantastischen Handlung stehen Puppe, Soldat und Harlekin als – auch musikalisch – gezeichnete Prototypen. Die Durchmischung bei den Spielzeugen gibt Raum für witzige Details. Ein Elefant spritzt Wasser und fördert damit eine Blume. Schäfer und Schafe ziehen als Rollzug vorbei. Ein Mohr (darf man das?) wechselt janusgesichtig mit einem alten weißen Mann (das darf man). Bis zu drei Puppenspielern verbraucht der abgrundtief hässliche und gemeine Harlekin.
Die Bühne besteht aus bunten und wandlungsfähigen Elementen, die geöffnet, umgesetzt, aufgeklappt und beliebig verbaut werden: Der Tiefe entsteigt ein kleines Heer, den Soldaten mittels Erbsengewehr gegen den Harlekin zu unterstützen, der sich ebenfalls aufrüstet und den Bühnenzylinder als Kartaune einsetzt... Selbstredend, dass der brave Soldat das Rennen um die holde Maid macht und sich mit dieser vorbürger-bäuerlich häuslich einrichtet. András Schiff erwies sich als überzeugend starker und virtuoser Motor, um die Puppen des Salzburger Marionettentheaters tanzen zu lassen. Das Publikum hat sich jedenfalls hoch animiert gezeigt und dies lautstark bekundet.
Bilder: Ebihara Photography / Bernhard Müller (1)