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Befreiung mit Puppen

MARIONETTENTHEATER / FIDELIO

17/05/21 Der Bösewicht ist nur sechzig Zentimeter groß – und furchterregend, wie jeder Nazi-Scherge im Ledermantel. Fidelio ruht auf dem Schuh seines Puppenspielers. Rocco hat seine Weinflasche auch im tiefsten Kerker dabei... Eine grandiose historische Fidelio-Einspielung unter Ferenc Fricsay liegt der schnörkellos modernen Regie von Thomas Reichert für das Marionettentheater zu Grunde.

Von Heidemarie Klabacher

Das Salzburger Marionettentheater hat mit Beethovens Fidelio einen wahren Schatz brandneu ins Repertoire aufgenommen. Die Online Premiere via Streaming-Plattform Myfidelio war am Samstag (15.5.). Die analoge Premiere in der Szene Salzburg folgt in genau einem Jahr. Darauf kann man gespannt sein, es werden sich interessante Perspektiven öffnen. Aber Einspielung und Stream sind in diesem Falle kein Ersatz, sondern ein vollgültiges bewegendes Opernerlebnis.

Regisseur Thomas Reichert hat Beethovens Befreiungs-Oper unter dem Brennglas betrachtet und in ein Kammerspiel gefasst, das mit liebevollen Details in „Personenführung“ und Ausstattung ebenso begeistert, wie mit dem schnörkellosen Gesamtkonzept. Gespielt wird in der offenen Reisebühne des Marionettentheaters: Alu-Gestänge in einer Black Box.

Man könnte eine Gesamtansicht auf den ersten Blick für das Setting jeder „großen“ Oper in einer zeitgenössischen Inszenierung halten, würde man nicht am oberen Bühnenrand die Puppenspieler erkennen.

In der Nahaufnahme kommen zur abstrakten Schmucklosigkeit liebevoll gestaltete Ausstattungs-Details, die von den Cuttern ebenso liebevoll in den Blick genommen werden: Da sind die Blumen, die Marzelline an der Gefängniswand zieht, da ist die Weinflasche, die der Kerkermeister Rocco für einen raschen Schluck immer dabei hat, da sind die Ketten an den Händen Florestans, die von Fidelio/Leonore gelöst werden - was kein Kunststück wäre, würde es sich um Menschen handeln. So kann man nur einmal mehr staunen über die Hand- und Kunstfertigkeit der Puppenspielerinnen und Puppenspieler des Salzburger Marionettentheaters.

Wie elegant die Leonoren-Puppe sich zum Umkleiden in die behutsamen Hände der Puppenspielerin begibt, welch charmante Geste der Puppenspielerin, bevor sie Leonore den winzigen Fidelio-Ledermantel abnimmt... Die Marionetten haben keine „Gesichter“. Die abstrakten Puppenköpfe von Alfred Kleinheinz sind dennoch sehr unterschiedlich ausgefallen – und entwickeln im Kopf des Zuschauers alsbald Gesichts- und Charakterzüge. Ein kluger Kunstgriff!

Diese Fidelio-Regie sinngemäß ins Großformat übertragen würde vermutlich ebenfalls funktionieren. Lebende und live singnde Sänger müssten sich allerdings ziemlich anstrengen, um mit der so delikaten wie klangrednerischen Einspielung einer DGG-Aufnahmen anno 1957 mitzuhalten: Es spielt vom Band das Bayrische Staatsorchester unter der Leitung von Ferenc Fricsay.

Florestan und Leonore werden gesungen von Ernst Haeflinger und Leonie Rysanek. Als Marzelline glänzt Irmgard Seefried. Dazu Jaquino Friedrich Lenz, Rocco Gottfried Frick und Don Pizarro Dietrich Fischer-Dieskau. Eine Sängerbesetzung, die den Atem anhalten und den Repeat-Button betätigen lässt.

Die Dialoge, reduziert auf das Nötigste, wurden für die Fassung des Marionettentheaters neu geschriebenen und aufgenommen. Gesprochen wird gut verständlich, aber auffallend leise und beinah „farblos“. Dem liegt kein hörbarer aufnahme-technischer Mangel zugrunde. Man kann es wohl einfach so sehen, dass der Regisseur, der auch für die Textfassung der Neuproduktion zeichnet, das gesprochene Wort unaufdringlich im Hintergrund halten wollte.

Termine, Karten, Stream -  www.marionetten.at - www.myfidelio.at
Bilder: Stills aus dem Stream
Zum dpk-Bericht über die Neuproduktion
Fidelio auf Fidelio

 

 

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