Müllauffuhr und Antirassismus-Vergnügungspark
SOMMERSZENE 2016
12/05/16 Angela Glechners vierte Sommerszene - von 21. Juni bis 2. Juli - bringt an zwölf Tagen 14 Tanz- und Tanztheaterproduktionen, darunter neun Österreich-Premieren und mehrere Uraufführungen. Ein Schwerpunkt ist die künstlerische Auseinandersetzung mit Salzburg als Lebensraum. Auch Probleme der Gegenwart werden beleuchtet.
Von Heidemarie Klabacher
Das beginnt schon mit der Szene-Eröffnung mit einer Produktion der Choreografie-Legende Jérôme Bel: Sie wird bestritten von einer zwanzigköpfigen Schar Salzburger, bestehend aus Laien und professionellen Tänzern, die dieser Tage gerade gecastet werden. Kinder, ältere Herrschaften, eine Rollstuhlfahrerin werden in der „Gala“ des französischen Star-Choreographen aufgefordert, „ihr unverwechselbares Bewegungs-Repertoire“ zu präsentieren. Die daraus entstehende Galerie lebendiger Porträts solle zeigen, „wie eindrucksvoll und schillernd die Möglichkeiten des Ausdruckes fern ab künstlerischer Virtuosität sein können.“
Weitere große Produktionen beschäftigen sich mit dem Zusammenleben im städtischen Raum, zeigen Aspekte des sozialen und politischen Miteinanders auf und bieten alternative gesellschaftliche Modelle für seine Bewohner“, sagte Angela Glechner heute Donnerstag (12.5.) bei der Programmpräsentation. Exemplarisch passiert das im dem Projekt des Wiener Choreographen Willi Dorner: Er geht mit der Uraufführung seiner Performance „every-one“ nach Lehen zum Supermarkt Siebenstätterstraße 50: „In kurzen Choreographien zieht Dorner Parallelen zwischen der zunehmenden Ökonomisierung unserer Gesellschaft und den Tänzen und Revuen der 1920er Jahre, die die Etablierung der normierten Massenproduktion widerspiegelten“, so Angela Glechner. Kurz gesagt: Mit der Massenproduktion einhergegangen sei eine Vereinheitlichung des Bewegungsrepertoires, der Dorner nachspürt.
Spass und Performance fallen einem ja nicht gerade oft zusammen ein, aber echt lustig zugehen soll es bei der interaktiven Performance „Home Sweet Home“ des britischen Künstlerkollektivs Subjet to_change: Das Publikum darf mit Modellhäuschen ein neues Salzburg bauen. „Subjet to_change bieten als Österreich-Premiere dem Publikum fünf Tage lang die partizipative Gelegenheit, an einem Salzburg der Zukunft mitzuplanen: Mit einem Modellhaus zum Selbergestalten kann man erleben, wie auf dem Stadtplan von Salzburg eine neue Stadt entsteht.“ Vormittags dürfen angemeldete Schulklassen ihre Stadt bauen, die Termine waren blitzschnell ausgebucht.
Sonst geht es wieder eher gewichtig zu. „Dem Zusammenleben in einer globalisierten Welt und den damit einhergehenden gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Fragestellungen sind zahlreiche weitere Veranstaltungen der Sommerszene gewidmet.“
Die Star Choreographin aus Island - Erna Ómarsdóttir - gastiert mit dem bildgewaltigen Tanzstück „Black Marrow“: Zu den sphärischen Klängen des Komponisten Ben Frost sollen Bilder zwischen archaischem Ritual und poetischer Stimmung entstehen und einen kritischen Blick auf unseren Planeten, seine Natur und seine Ressourcen werfen.
Nicht nur Ressourcenknappheit ist ein globalen Phänomen, sondern, nach Ansicht der Choreographin und Tänzerin Doris Uhlich auch die Angst. Ein Bewegungsrausch sei ihr hochenergetisches Stück „Boom Bodies“. Es tanzen acht Tänzer, großteils Absolventen der Salzburg Experimental Academy of Dance (SEAD). Zum Festivalabschluss legt Uhlich als DJane ihrer Lieblingssounds und Beats auf und performt dazu.
Über die Gesellschaft und sich selbst nachgedacht hat auch die belgische Künstlerin Sarah Vanhee mit ihrem Solo „Oblivion“. Sie hat ein ganzes Jahr lang ihren Müll gesammelt, realen und virtuellen. Sie hat die unverderblichen Reste feinsäuberlich in 24 Bananenschachteln gesammelt und archiviert Müll und wird es auf der Bühne in der Performacne feinsäuberlich ausbreiten. Aktuellen tagespolitischen Fragen wendet sich auch der Performer, Filmer, Autor und bildende Künstler Julius Deutschbauer zu. Er zeigt an elf Festival-Tagen seine Serie „Antirassismusvergnügungspark“ zu. Ausgangspunkt seiner Live-Performances sind provokante Statements zu Stichworten wie „Flüchtling“ oder „Willkommenskultur“.
Der italienische Regisseur und Choreograph Alessandro Sciarroni hat im Winter in Salzburg mit seinen Schuhplattlern begeistert. Jetzt kommt der mit einem Sport für Seh-Beeinträchtigte und Blinde zurück: „Indem er die paralympische Disziplin Goalball auf die Bühne bringt, eröffnet er eine empathische Beziehung zwischen Akteuren und Zuschauern als gruppendynamischen Prozess des Zusammenlebens“, erklärt Angela Glechner. „Aurora“ ist der Titel.
Die Rabtaldirndln kommen zum dritten Mal. Das Grazer Kollektiv hat sich von „Aktenzeichen XY ungelöst“ inspirieren lassen und hinterfragt den Heimatbegriff. 124 Schallplatten, einen Plattenspieler und viele Geschichten dazu bringt die kanadische Gruppe PME-ART mit für ihre Performance „The DJ Who Gave Too Much Information“.
Die erfolgreichen Kooperationen mit Salzburger Institutionen setzt Angela Glechner fort: Die Salzburg Experimental Academy of Dance (SEAD) ist mit einem Doppelabend vertreten: Die Gastchoreographen Mark Lorimer und Milla Koistinen bringen „Darwin’s Gypsy Dance“. Milla Koistinen bringt die Choreographie „Untitled 1 (blue)“. Im Museum der Moderne ist Philipp Gehmacher zu Gast, der auch in der aktuellen Ausstellung „Musik – Tanz. Staging the Derra de Moroda Dance Archives“ vertreten ist. Und ebenfalls im MdM gastieren Jonathan Burrows und Matteo Fargion mit den zwei Duetten „Both Sitting Duet“ & „Body Not Fit For Purpose.“
Bilder: Szene Salzburg/Phile Deprez (1); Clara Molden (1); Bjarni Grimsson (1); Bernhard Müller (1)
Sommerszene von 21. Juni bis 2. Juli - www.szene-salzburg.net