Überfluss und Vergänglichkeit
SOMMERSZENE / DEEP DISH
06/07/15 Zu Anfang nimmt sich einer einen Kohl mit der Handkamera vor. Wann hat man sich das letzte Mal so genau einem Gemüse gewidmet? Langsam tastet die Linse die Oberfläche des Kohls ab und schon bald denkt man hier nicht mehr an ein Gemüse. Assoziation mit dem menschlichen Gehirn tut sich unweigerlich auf.
Von Larissa SchüTZ
Assoziationen entstehen im Verlaufe der Performance zu Hauf. Kräuterzweige werden zu Urwäldern, Fruchtfleisch zu Blütenblättern und aus einer Orange wird sogar ein ganzer Planet.Die österreichische Kompanie Liquid Loft bittet zu Tisch und serviert ein Menü voller Metaphern, Sound-Verfremdung und dem Spiel mit den Dimensionen. Die Tafel ist reich gedeckt, doch Obst, Gemüse und andere Gewächse sättigen hier nicht auf herkömmliche Weise.
Im Falle von „Deep Dish“ darf man eins zu eins übersetzen, um den Inhalt zu erfahren. Denn die Tiefen der servierten Speisen wird hier in verschiedenster Form erforscht. Mit einer Handkamera wird auf eine große Leinwand im Hintergrund projeziert, was am reich gedeckten Tisch passiert. So nimmt man das Publikum mit auf eine Reise durch die Dimensionen von Makro- und Mikrokosmos.
Inspiriert ist die Performance an Maître Chanterels Roman „Locus Solus“, der seine Gäste durch seinen Garten und verschiedene Dimensionen der Wahrnehmung führt. Die Gäste sind in „Deep Dish“ vier Personen (Luke Baio, Stephanie Cumming, Katharina Meves, Karin Pauer), die abwechselnd handeln oder die Kamera führen. Sie genießen ein dekadentes Mahl, plappern laut und wirr und vergnügen sich mit Speis und Trank.
Obst und Gemüse sind natürlich auch Teil der vielsprachigen Konversation. Österreich sei sehr streng, was Lebensmittelnormen betrifft, erzählt eine Frau. Gurken müssten exakt 23cm lang sein, anderen Falls kämen sie nicht in den Verkauf und seien zum Verwelken verdammt. Nur am Karlsplatz bekäme man noch Früchte jenseits aller Normen. - Der Wiener Drogenumschlagplatz nun also auch ein Ort des Gemüseschwarzhandels?
Geplappere dieser Art macht nur einen kleinen Teil der begleitenden Soundkomposition aus, die die Eindrücke der Bilder verstärkt. Es ist eine Mischung aus sphärischen Klängen, Geräuschen und Sprache (Komposition und Sounddesign: Andreas Berger).
Doch die opulente Darstellung von Dekadenz und Überfluss findet ein jähes Ende in der Apokalypse. Unter all den prächtigen Früchten verbirgt sich am Ende nur das faule, vor sich hin wesende Verderben. All die Pracht verdeckte eigentlich nur eine unschöne Unterfläche. Eine weitere Metapher auf den Usus der Barockzeit, alles Hässliche einfach zu überschminken. Alles endet in einer Wasserschale, in der Fetzen der über gebliebenen Früchte umher schwimmen.
Auch wenn in dieser Performance viel metaphorisch gearbeitet wird, so ist es im Falle von Deep Dish nicht der Spiegel, der der Gesellschaft vorgehalten wird, sondern die Kamera. Der Mix aus Tanz, Performance und Film schafft es, sämtliche Dimensionen des republic aufzuheben und das Publikum in eine eigene Realität auf der Leinwand zu ziehen.