Wilmaaa – ich weiß ein lauschiges Platzerl
SOMMERSZENE / ERÖFFNUNG / SÄGEWERK
24/06/15 Brettersäge. Hauchfeine Bretter werden von jungen Damen im weißen Kleidchen rituell gewendet und gestapelt. Schriller Sägelärm übermalt von elektronischem Orgelgedröhn. Toller Sound. Talkshow. Gelehrtes über Künstlichkeit aller Natur und deren Erfindung durch die Romantik: Die Sommerszene wurde eröffnet mit der Uraufführung von Hubert Lepkas „Sägewerk“.
Von Heidemarie Klabacher
Phantasievolle charakterstarke Instrumente verschiedenster Kulturen hat man im Republic schon oft erlebt. Eine Brettersäge noch nie. Das schwere Gerät kam als Instrument und Werkzeug gleichermaßen zum Einsatz, war – bei aller Mächtigkeit – dennoch der sehr zurückhaltende Star am Dienstag (23.6.) im Republic bei der Uraufführung von „Sägewerk“ von Hubert Lepka/lawine torrèn.
Hubert Lepka, der gleich zu Beginn eine Art Cameo-Auftritt in Hut und Sakko hatte, und die Mitglieder von lawine torrèn haben sich also in die Natur begeben und nur einer ist tatsächlich darin umgekommen. Bei der Ziege weiß man es nicht: Liebkost und geherzt von einer großäugigen Tänzerin ist das ebenso großäugige Tier in Großaufnahme auf der Videowall der Betrachterin so nahe gekommen, dass es ein Schock war, als es gegen Ende wieder ins Bild kam – bluttriefend, aber hoffentlich doch nur betäubt und nicht verendet…
Hier liegt vielleicht ein Ansatz zur Lösung der Rätsel- oder Dechiffrier-Aufgabe, die Hubert Lepka/lawine torrèn mit „Sägewerk“ gestellt haben: Ihr längst entfremdet, vermenschlicht der Mensch die Natur und damit auch die Tiere. Wir zwingen ihnen ein würdeloses Vegetieren als Handtaschenhund auf, dann schlachten wir sie… Da lässt sich viel weiterspinnen.
Fast noch ein wenig erschreckender: Das hoch stilisierte, hoch ästhetische und überscharf gefilmte Video von der brutalen Vernichtung eines Baumes durch schweres Gerät. Kein Fällen war das, sondern ein Massaker. An einem unschuldigen Wesen. Unschuldig? Die Natur? Schon wieder eine Vermenschlichung... Schon wieder ein Häkchen des Nachdenkens, das der Produktion zu setzen gelungen ist. Ob es „die Natur“ tatsächlich erst seit dem 19. Jahrhundert gibt, seit ihrer Erfindung durch die Romantik?
Der Gelehrte in der Talkshow, die live auf dem Sofa geführt Teil der Produktion war, hatte recht überzeugende Argumente. Den Text haben Hubert Lepka und Joey Wimplinger aus allerhand Zitaten – Stifter, Heidegger – und zeitgenössischem Talkshow-Gequassel kompiliert. Die Sehnsucht des Menschen nach der Natur – kommt sie tatsächlich nur aus dem Werbeprospekt? Fred Feuerstein jedenfalls hat nicht gebrüllt: „Wilma! Ich weiß ein romantisches Platzerl...“ Sind Schuberts ewige Wanderer und Hirten auf dem Felsen die Verursacher der Lemmingszüge ins Grüne?
Schubert fällt einem ein, weil Schubert – trotz Ankündigung durch Lepka bei der Pressepräsentation – im fertigen Stück nicht vorgekommen ist: Ein hervorragendes Vokalensemble von acht staunenswert homogen miteinander verschmelzenden Männerstimmen unter der Leitung von Martin Fuchsberger hat sich an Orlando di Lasso, Tomas Luis de Victoria und Jacobus Gallus gehalten.
Die Chorsätze haben das, auf beinahe zu vielen Ebenen ablaufende daher beinahe ein wenig kunterbunte, Geschehen in der Ruhe und Gelöstheit der Abstraktion verankert. Dass man sich dabei ertappt hat, Chorknüller a la Mendelssohns „Oh Täler weit oh Höhen“ zu erwarten, gibt auch zu denken.
Denkens genug also. Und des Schauens fast zu viel: „Getanzt“, also in sich schlängelnden Bewegungen ergangen, haben sich die Mitglieder von lawine torrèn ebenso auf der Videowall, wie auf der Bühne. Auch Holz gemacht wurde auf der Bühne und im Film, einem ausgewachsenen Meisterstück von Stefan Aglassinger: Wie die Fasern eines Baumes durch Eintreiben einer Axt oder eines größeren Spaltwerkzeuges langsam und qualvoll aufsplittern – dass passte auch in einen Horrorfilm. Auch die sich windenden Raupen. Wie die Modelleisenbahn munter durch Moos- und Blattgrün tuckert, um in den „Abgrund“ zu stürzen, oder wie sich Menschenzehen wie junge Triebe aus dem Moos freikämpfen – aufregend und schräg. Wie sich nach ansetzen der Kettensäge der Winkel zwischen verbleibendem Baumstumpf und langsam fallendem Baum vergrößert – Suspense pur… Trotz der Überfülle an Bild und Wort und Klang eine eher kopflastige aber reizvolle Betriebsbesichtigung im „Sägewerk“.