Kunst und Leben als Widerstand
SOMMERSZENE 2015
23/06/15 Kunst sollte immer – auch – politisch sein. Künstlerinnen und Künstler der Sommerszene halten dieses Banner hoch und rücken aktuelle politische Inhalte ins Zentrum. „Das Festival zeigt mehrere außereuropäische Produktionen, die sich mit kriegerischen Konflikten und alltäglichem Rassismus auseinandersetzen.“
Von Heidemarie Klabacher
„Es sind starke Positionen von Künstlern, die sich nicht scheuen, politische und soziale Fragen in den Mittelpunkt ihres Bühnenschaffens zu rücken. Die Stücke sind eindrucksvolle Beweise für die Virulenz des zeitgenössischen Theaters“, sagt Szene-Intendantin Angela Glechner.
So feiern etwa in der Produktion BADKE „zehn palästinensische Tänzer und Akrobaten mit fröhlicher Ausgelassenheit und unbändigem Temperament ein Fest der Hoffnung inmitten des alltäglichen Grauens in ihrer Heimat“. Die Truppe „les ballets C de la B“ hat den levantinischen Volkstanz Dabke zum Ausgangspunkt gemacht. Die Choreographen verbinden diesen Volkstanz mit Hip Hop, Flickflack, Capoeira oder Disco. „BADKE lebt von der scheinbar ungebändigten Kraft dieser Körper, aber auch von unserem Wissen um den politischen und sozialen Hintergrund, in den nun ein Zeichen von Leben als Widerstand gesetzt wird. Das Politische liegt in beidem, der Ruhe und dem wilden Treiben. Angst und ein Tanz dagegen und eine Lebensfreude, die ihresgleichen sucht.“
Rassistisch „begründete“ Morde in den USA in den Schlagzeilen der Zeitungen anno 2015? Es sollte undenkbar sein, ist es aber nicht. „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.“ So lautet der erste Satz aus Elias Canettis Werk „Masse und Macht“, auf den sich Marcelo Evelin mit seinem international akklamierten Stück „Suddenly Everywhere is Black with People“ bezieht, mit dem der brasilianische Choreograph bei der Sommerszene erstmals in Österreich gastiert. „Der Unterschied der Kulturen wird zum sinnlich erfahrbaren Kunstwerk“, erklärt Angela Glechner: „In einem fragilen Spiel zwischen Nähe und Distanz treffen die nackten Körper der Tänzer unmittelbar auf das Publikum und machen so die Begegnung mit dem Fremden auf explizite Weise physisch und psychisch erfahrbar.“
Marcelo Evelin nennt sein Stück „ein politisches Statement“. „Aber natürlich tut er den Teufel, sein Wesen zum Beispiel in Lampedusa zu verorten“, schrieb Christoph Fellmann im Tages-Anzeiger über die Produktion. „Klar, da sind die Momente, da der Menschenhaufen um Hilfe zu flehen scheint, da sein Tanz wie eine große, drängende Fluchtbewegung anmutet. Doch heimatlos ist hier in erster Linie das Publikum, und das Stück ist auch eine Invasion. Der Tanz ist immer wieder heftig und aggressiv (aber nie sexuell, den Fehler macht Marcelo Evelin nicht). Doch ob in wuchtigen oder haarfeinen Momenten: Die intime Nähe zum Publikum schafft eine beidseitige spürbare Verletzlichkeit.“
Manche Fälle von Diskriminierung haben eine beinahe skurrile Note: So wurde der US-amerikanische Tänzer Abdur Rahim Jackson bei seiner Einreise nach Israel - wegen seines muslimischen Vornamens - aufgefordert zu tanzen, um zu beweisen, dass er tatsächlich ein Tänzer ist... Michikazu Matsune machte aus dieser Story die Produktion „Dance, if you want to enter my country“.
Seit vielen Jahren zählt Rabih Mroué zu den international meist beachteten Theatermachern und bildenden Künstlern aus dem Libanon. Immer wieder stellt er den Bürgerkrieg in seiner Heimat ins Zentrum seiner Arbeit. Seine Installationen wurden u.a. bei der dOCUMENTA und präsentiert. Mit Catherine Deneuve war Mroué im Film Je Veux Voir zu erleben, ein Dokumentarfilm über eine Reise der beiden durch den vom Krieg zerstörten Südlibanon. Bei der Sommerszene gastiert Rabih Mroué mit der Produktion „Riding on a cloud“. Und auch hier verarbeitet Mroué Kriegserlebnisse: Er erzählt - in arabischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln - die Geschichte seines Bruders Yasser, der den Schuss eines Heckenschützens nur schwer verletzt überlebte, und verwebt auf berührende Weise die Fragilität der eigenen Biographie mit der subjektiven Sicht auf die politischen Entwicklungen im Nahen Osten.
Die Sommerszene 2015 findet von 23. Juni bis 4. Juli an verschiedenen Spielorten statt und wird heute Dienstag (23.6.) mit der Premiere von „Sägewerk“ von Hubert Lepka/lawine torrène eröffnet - www.szene-salzburg.net
Bild: SS/Michikazu Matsune