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Drohnenlärm, Tsunami und Ende der Dinge

SOMMERSZENE / DAS FINALE

27/06/19 Aliens, eher silbrig als grün, landen auf dem Bahnhofsvorplatz. Ein Belgier drückt nicht die Nägel mit dem Finger in die Wand. Sechs englische Clowns im Schottenkaro lassen sich vom Brexit nicht die Ruhe rauben. Reales und Imaginäres verschmelzen poetisch, bevor die Party steigt – die Sommerszene 2019 geht in ihr Finale.

Von Heidemarie Klabacher

Aliens auf dem Bahnhofsvorplatz robben und sich wälzen lässt die Choreographin Ingri Fiksdal: seltsame Wesen ohne Arm und Bein eine „sich ständig fortbewegende Skulptur aus Körpern und Objekten“. Ingri Fiksdal macht mit ihrer Performance-Reihe Diorama erstmals in Salzburg Station. „Dioramen“ sind das, womit früher etwa im Haus der Natur Lebenswelten von fremden Tieren und Menschen vor bemalter Pappkarton-Kulisse dargestellt wurden. (Viele von ihnen werden wegen Nazi-Verdachts vor dem Publikum versteckt.) Der Begriff Diorama könne sich, so die Choreographin, aber auch auf das von Louis Daguerre 1822 in Frankreich erfundene Diorama-Theater beziehen, in dem Landschaftsgemälde mit Licht- und Klangeffekten sowie Darstellern zum Leben erweckt wurden. Die Stücke der Norwegerin bestechen durch ihre formale Ästhetik und die gelungene Verschmelzung aus Tanz, Sound, Licht und Kostümen, heißt es. Man sehen, was sich tut und was sich mitteilt. Die Darsteller unter der Silberhülle werden in der der stehenden Hitze auf dem Bahnhofsvorplatz jedenfalls künstlerische Opferbereitschaft mitbringen müssen. Die Musik kommt von Jenny Hval und dem Noise-Spezialisten Lasse Marhaug und variiere, so die Szene, zwischen „drohnenähnlichen Echos, abgehacktem Industrial Noise und durch die Landschaft ziehenden kryptisch flüsternden Stimmen“. Nach ihrem Gastspiel bei PNEU 2016 kommt Fiksdal zum zweiten Mal nach Salzburg. Diorama Salzburg. Die Stadtversion ist eine Vorabpräsentation der originalen Panoramaversion, die im Herbst 2019 im brut Wien zu sehen sein wird.

ARGEkultur. Am Anfang ist das Nichts – und dieses explodiert. Turntables, Vinylplatten, Frisbees, Drumcomputer, Küchengerät, Skateboards und allerlei bunter Plastikkram. Und der junge Belgier Louis Vanhaverbeke, der wie ein universaler DJ mit Sprache, Musik und Objekten jongliert und Alltagsgegenstände zu Klangmaschinen mutieren lässt: So kann man sich das Setting der Produktion Multiverse vorstellen. Vanhaverbeke ist ein Klangperformer: „Virtuos und spielerisch scratcht und bürstet er seine Lieblingshits mit den Plattennadeln so lange gegen den Strich, bis den Gedanken ausreichend Platz verschafft ist. Zusätzlich wirft er Rap, Spoken Word und ein paar wohl platzierte Stunts in sein kleines Multiversum hinein, jongliert mit Requisiten, Stimme und Sounds.“ Es sei eine „energiegeladene Liebeserklärung an die Fantasie und zugleich ein Plädoyer für die Neubewertung von Dingen, die in einer Wegwerfgesellschaft wertlos erscheinen, ein Tsunami aus Worten und Bildern. Louis Vanhaverbeke, der in Gent und Amsterdam studierte, interessiert sich für das Aufeinanderprallen verschiedener Lebensstile und Subkulturen. In seinen Performances spielen Musik als Mittel des Ausdrucks von Identität und die Benutzung von Objekten stets eine große Rolle. Mit seinem Solo Multiverse gastiert er zum ersten Mal in Salzburg bei der Sommerszene.

Brexit hin oder her - ein Höhepunkt der Sommerszene kommt aus England: Out Of Order nennt das britische Performancekollektiv Forced Entertainment sein neues Stück, mit dem es bei der Sommerszene erstmals in Österreich gastiert. Sechs traurige Clowns versuchen verzweifelt, die Zeit totzuschlagen, proben alte und neue Gags, vergessen, erinnern sich, vergessen. „Sie streiten sich und jagen einander, anfallsartig, chaotisch, ungelenk, kommen dann wieder zur Ruhe und warten ab, bis die ganze Hektik von vorne losgeht.“ Musikalisch untermalt wird das Chaos mit einem alten Schlager und Walzerklang. Out Of Order sei die „Ruine eines Stückes, aufgeführt in den Ruinen einer Welt“. Seit 35 Jahren stehe die im englischen Sheffield beheimatete Gruppe Forced Entertainment für unverwechselbares, spielerisches und zugleich hoch reflektiertes Theater. Unter der Leitung von Tim Etchells war die Kompanie etwa mit dem Stück Real Magic 2017 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Mit Quizoola! oder der mehrstündigen Performance And on the Thousandth Night tourten sie weltweit. Nun kommen Forced Entertainment mit Out Of Order zum ersten Mal nach Salzburg. Und am Ende ist das Nichts, gefolgt freilich von der Performance All Together von Michikazu Matsune und der endgültig gemeinsamen Abschluss- und Bingo-Party.

Das Programm der Sommerszene - www.szene-salzburg.net 
Bilder: SzeneSalzburg / Istvan Virag; Jolien Fagard;  Hugo Glendinnig

 

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