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Tänzer, die auf Ziegen starren

SOMMERSZENE

21/06/19 Ziegen und Tänzer. Zicklein und Tänzerinnen. Lawine Torrèn und Hubert Lepka als Hahn im Korb. Sie alle treffen im performativen Hearing Herde und Stall aufeinander. In elf Kurzlesungen geht man mit den Buchstaben auf ein Dosenbier. Und Shakespeare gibt auch seinen Senf dazu. Auswendig, versteht sich. Angela Glechners SommerSzene geht in ein turbulentes Wochenende.

Von Heidemarie Klabacher

In Herde und Stall hausen eine Handvoll Menschen mit einer Handvoll Geißen, Kitzlein, Kälbern und Geflügel in einem gemeinsamen Gehege. Eine Handvoll ist nicht so viel, eine Geiß, ein Kitzlein, ein Kalb, zwei Hennen, ein Hahn vielleicht. Auf der Bühne aber machen Tiere immer was her: „Sie bilden eine kleine Herde, zuerst im öffentlichen Raum bei der Pferdeschwemme, dann im Saal der Szen. Dort findet ein Hearing für alle Sinne statt“, sagt Hubert Lepka. Tiere und Menschen hätten dabei jeweils ihren ganz eigenen Kopf: „Die Geißen kümmern sich um den Nachwuchs, die Kitze üben das Klettern, das Kalb hält sich zurück. Und die Menschen erzählen.“ Was heißt etwa „Sesshaft werden“? Das Alte Testament, immer für gute Geschichten gut, lieferte Hubert Lepka hierzu eine „Vorlage wie aus einer landwirtschaftlichen Betriebsanleitung“: „Rund um die Erzählung von Abraham und seinem Sohn Isaak entspinnt sich ein Abend über die Beziehung zwischen Mensch und Nutztier, Ackerbau und Viehzucht, Loyalität und Opfertum“.

Hubert Lepka ist Choreograph und Regisseur des Künstlernetzwerks Lawine Torrèn. Seit 1989 seine Performance 108 EB – Kammermusik für 4 Motoren & Bedienungspersonal die Möglichkeiten eines herkömmlichen Theaterraums augenscheinlich überforderte, finden seine Arbeiten meist im Freien statt: „Unsere Projekte bergen Geschichte und Erzählungen als Bodenschätze und bereiten sie in zeitgenössischen Anlagen, in einem performativen Gestell, als Waren des ästhetischen Kapitalismus auf.“ Premiere is am Samstag (22.6.)

„Randgängerische Kurzlesungen“ sind ein weiteres dramaturgisches Rückgrat der SommerSzene 2019. Klein aber fein: Mit Found Poems bietet Andrea Maurer ein „poetisches Service“ mit kurzen Spaziergängen zu verschiedenen Orten rund um das SZENE Theater (vormals Republic) unternimmt sie randgängerische Kurzlesungen. Die Programmtexte zu den Szene-Vorstellungen werden dabei als „objets trouvés in buchstäblicher Zerlegungsarbeit zu miniaturhaften Text-Skulpturen umgebaut“, erklärt Szene Intendantin Angela Glechner. Und die Künstlerin: „Am Gehsteig, hinter einem Mauervorsprung, auf einer Treppe, neben einer Sitzbank.... werden die Wörter für die Vorstellungen einer Vorstellung ungeordnet umgeordnet und unsere Vorstellungen zerstreut...“ Gelegentlich werde in den 15-minütigen Poesie-Maschinerien auch die Schere angelegt. „Da und dort wird ein Buchstabe verweht und auf das eine oder andere Dosenbier eingeladen.“

Andrea Maurer lebt und arbeitet als bildende Künstlerin, Performerin und Choreographin in Wien. Sie behandelt und zerlegt in zumeist performativen und/oder installativen Formaten Zusammenhänge von Sprache, Wirklichkeit und Wahrnehmung. Maurer absolvierte ihr Studiuman der Akademie der Bildenden Künste Wien. Ihre 2013 entstandene Arbeit Gesprächsgegenstände wurde mit dem Salzburger Landespreis für Medienkunst ausgezeichnet, die Performance Selbstzerlegung 2016 mit dem H13 Preis für Performance des Kunstraum Niederösterreich. Demnächst wird die Installation Du bist nicht gerade in Anordnung plötzlich da in der Galerie 5020 in Salzburg zu sehen sein. Termine gibt es bis zum Ende der Sommeszene.

Auch Text, aber nicht zerschnipselt, steht in einem weiteren Szene-Act im Mittelpunkt: Der portugiesische Autor, Regisseur und Theaterintendant Tiago Rodrigues steht allein mit zehn leeren Stühlen und einer Kiste Bücher auf der Bühne. In seinem sehr persönlichen Stück By Heart berichtet er von seiner erblindeten Großmutter Cândida, mit der er Shakespeare-Sonette auswendig lernte: „Auf charmante und mitreißende Weise spricht Tiago Rodrigues über die Macht der Worte, die einem niemand mehr nehmen kann, weil das Gehirn der sicherste Speicher für Geschriebenes ist.“ Gemeinsam mit zehn freiwillig Mitwirkenden bringe er diesen Wert auf die Bühne, indem eine Gruppe einander bislang Unbekannter Shakespeares berühmtes Sonett Nr. 30 auswendig lernt.Was können wir aus dieser lyrischen Kostbarkeit fürs Leben lernen? Vielleicht ist ja doch alles nicht so schlimm, wenn man nur das richtige Gedicht auffschlägt:

Die trübe Rechnung längst beweinter Tage,
Als wär' sie nie gezahlt, zahl' ich sie heut.
Doch wenn die Blicke ich zu dir nur wende,
e
rsetzt ist alles und mein Gram zu Ende.

So hoffnungsvoll endet das berühmte Sonett. Shakespeare auswendig lernen ist aber gar nicht so leicht, wenn man es nicht täglicht tut und gewohnt ist. Ein wenig Gruppen-Dynamik mag hilfreich sein: Tiago Rodrigues schart um sich eine „temporäre Gemeinschaft, die ein beeindruckendes Zeugnis von der Kraft des poetischen Widerstandes ablegt“, schildert Angela Glechner die Performance. Rodrigues zählt zu den wichtigsten und produktivsten Regisseuren Portugals. 2003 gründete er mit Magda Bizarro die Kompanie Mundo Perfeito und inszenierte unter diesem Label bisher gut dreißig Stücke, von denen viele weltweit getourt sind. Theater ist für Tiago Rodrigues „ein Ort der menschlichen Begegnung, ein Ort, an dem sich Menschen wie in einem Kaffeehaus treffen, um ihre Zeit und Gedanken miteinander zu teilen“ Mit seiner Erfolgsproduktion By Heart aus dem Jahr 2013 kommt er nun zum ersten Mal nach Salzburg.

Das Programm der Sommerszene - www.szene-salzburg.net
Bilder: SommerSzene / Bernhard Müller; Andrea Maurer (1);Magda Bizarro (1)
 

 

 

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