Verwirbelter Volkstanz, nackt serviert
SOMMERSZENE / SIMON MAYER / SONS OF SISSY
03/07/17 Ihre Rundreise durch die Welt zeitgenössischer Tanz- und Performancekunst beendete die Sommerszene 2017 am Samstag (1.7.) mit heimatlich vertrauten Klängen und Bewegungen. In „Sons of Sissy“ zerlegte der Österreicher Simon Mayer den heimischen Volkstanz und seine Begleitmusik in ihre Einzelteile und offenbarte dabei sowohl ihre archaischen Wurzeln wie auch ihre durchaus skurril anmutenden Besonderheiten.
Von Christoph Pichler
Dass sie die traditionelle österreichische Volksmusik auch in ihrer fröhlich süffigen Reinform draufhaben, beweisen Simon Mayer, Matteo Haitzmann, Patric Redl und Manuel Wagner noch bevor das Saallicht komplett erloschen ist. Für ihren kunstvollen Viergesang samt Melodien-Medley mit Fiedeln, Bass und Ziehharmonika erhalten sie schon nach wenigen Minuten den ersten Sonderapplaus. Doch bald schon gehen mit den vier Musikern musikalisch die Pferde durch, bis (nach einem gründlichen improvisatorischen Gemetzel) nur mehr ein Grundton im Raum festhängt.
Über diesem dreht nun der langmähnige Akkordeonspieler laut und rhythmisch stapfend seine Runden wie ein einsamer Indianer um den Marterpfahl. Lange bleibt er jedoch nicht allein. So gesellen sich erst ein Blechbläser, dann ein wirbelnder Derwisch zu ihm, während die mantraartig monotone Klangkulisse mit Ratschengeratter, Glockengebimmel und Weihrauchgeschwenke eine vertraute sakrale Note bekommt.
Auch tänzerisch nähern sich die vier langsam wieder heimatlichen Gefilden. Ein Rock und lange Haare kompensieren den Frauenmangel beim anschließenden Paar- und Gruppentanz, bei dem sie das Publikum mit den wildesten Balz-Moves aus dem Plattel- und Stolzierrepertoire der heimischen Kreistänzer zum Lachen und Schmunzeln bringen.
Nach einer guten halben Stunde gehen die vier noch einen Schritt weiter und entledigen sich für den Rest der Performance all ihrer Textilien. Neben einigen peinlich berührten Lachern erzeugt dies eine durchaus neue Atmosphäre. So wirken die Tänze nun vollends wie archaische Männerrituale, werden dabei aber auch um eine stark homoerotische Note angereichert. Das führt einerseits zu intimen Annäherungen, andererseits aber auch zu Streit, Schmerz und Leid. Ein finaler gemeinsamer Viergesang verspricht da zumindest ein wenig weltvergessene Linderung.
Vor allem für volkstanzerfahrene Österreicher ist „Sons of Sissy“ ein Riesenspaß, sofern sie über sich selbst und ihre Tradition lachen können. Dass selbst skurrilste Szenen wie das gegenseitige Hinternversohlen nicht dem Hirn eines durchgeknallten Choreographen entsprungen sind, sondern so auf jedem besseren Dorffest vorgeführt werden, muss man dem ausländischen Gast erst einmal zu erklären versuchen. Doch wird der heimische Volkstanz hier keineswegs der Lächerlichkeit preisgegeben. Es ist eher eine (ebenso traditionell österreichische) Hassliebe, die das Quartett das eigene Brauchtum in seine Grundelemente zerlegen lässt und dabei neben den merkwürdigen Eigenheiten auch viele grenzüberschreitende Gemeinsamkeiten offenlegt.