Bewegt durch Zeit und Raum
SOMMERSZENE / MEG STUART / BUILT TO LAST
29/06/17 Auf eine Reise durch die Geschichte der Bewegung, des Tanzens, letztlich der Menschwerdung an sich, lädt heuer Sommerszene-Stammgast Meg Stuart in „Built to Last“. In dieser Co-Produktion mit den Münchner Kammerspielen setzt die amerikanische Star-Choreographin erstmals auf bereits existierende klassische Musik von Beethoven und Bruckner bis Schönberg, Stockhausen und Xenakis.
Von Christoph Pichler
Bevor allerdings so richtig Bewegung auf die Bühne des republic kommen kann, müssen sich die fünf Performer (Dragana Bulut, Davis Freeman, Anja Müller, Maria F. Scaroni, Kristof Van Bove) erst langsam ihrer selbst und der Bewegungsmöglichkeiten des eigenen Körpers bewusst werden. So taumelt das Quintett anfangs noch im Stehen und sucht seine Balance, ehe es über die Befreiung der Hände und Arme ebenso zwangsläufig wie zufällig in die ersten Schritte stolpert.
Mit dem frisch Erlernten wird fortan eifrig experimentiert. Noch unbekannte Dimensionen wie oben und unten werden erforscht. Die Leute schlüpfen in Tierrollen, um neue Bewegungsmuster aus der Natur zu schöpfen, und alles bislang Aufgeschnappte wird eifrig miteinander kombiniert. Dabei werden die Eigenheiten der einzelnen Charaktere immer deutlicher sichtbar. Zum gemeinsamen Tanzen reicht es allerdings noch lange nicht. Vielmehr entwickelt sich ein wildes Neben- und Gegeneinander, in dem der andere auch schon einmal in die Knie gezwungen wird.
Als sich das Drama und Chaos in immer drastischere, hysterischere Höhen zu schrauben droht, folgt der erste große Bruch. Die Musik verstummt, die Tänzer können bis auf Kristof Van Bove erst einmal richtig durchschnaufen. Dieser unterhält das Publikum nämlich mit tiefen Griffen in seine Zitatensammlung. Beethoven kommt dabei ebenso zu Wort wie Haydn oder der Pop-Philosoph Slavoj Žižek, und auch der Performer selbst darf eine persönliche Weisheit zum Besten geben. Mit Beethovens „Eroica“ nimmt das Stück bald wieder volle Fahrt auf, und weiter geht die spannende Reise, auf der uns später Dvořák über den Atlantik und Meredith Monk in den Weltraum begleiten wird. Es gibt einfach noch viel zu entdecken, zu erleben und auszuprobieren, bis sich das erschöpfte Quintett in Ligetis atmosphärischen Klangflächen zur Ruhe betten kann.
Meg Stuart und ihren Performern ist mit „Built to Last“ ein monumentales Werk geglückt, das seit seiner Uraufführung nun zumindest schon fünf Jahre auf den Bühnen der Welt durchgehalten hat. In seinen gut zwei Stunden Spieldauer pflügt es wild durch die Musik- und Menschheitsgeschichte, lässt ein Zimmer über die Bühne wandern und ein künstliches Sonnensystem über unseren Köpfen kreisen. Vernebelt uns die Sinne, blendet uns und leuchtet uns aus. Führt uns an der Hand und lässt uns doch alleine sitzen. Bei aller demonstrativen Ernsthaftigkeit ist die Performance freilich immer wieder hochkomisch. Wer den demonstrativ ernsthaften Menschen aber einfach nicht zum Lachen finden will, der kann sich zumindest an den musikalischen Meilensteinen ergötzen, die den Weg der Menschwerdung so kunstvoll säumen.