Durchhalten und Kämpfen sind wir ja gewohnt
NACHGEFRAGT BEI ELISABETH SCHNEIDER
21/04/20 „Der schmerzlichste Verlust ist das gemeinsame Kulturerlebnis im Konzert, im Kino. Und das verwaiste Zeughaus tut weh. Das Haus, das sonst so lebendig ist, hat seine Belebtheit verloren.“ Ein Postwurf mit 15.000 Programm-Foldern zu den 34. Paul Hofhaimer Tagen ist Makulatur im Büro von Elisabeth Schneider vom Kulturkreis Das Zentrum in Radstadt.
Von Heidemarie Klabacher
„Der Mai ist noch weit weg. Das geht sich schon noch aus...“ Auch, als klar wurde, dass es sich nicht mehr „ausgehen“ wird, sei es schwer gewesen, „die innerlich längst gefallene Entscheidung zu akzeptieren“, sagt Elisabeth Schneider, Leiterin des Radstädter Kulturkreises Das Zentrum und Intendantin der Paul Hofhaimer Tage. Wie zahlreiche große und kleine Festivals Land auf und ab, fielen auch die 34. Paul Hofhaimer Tage, geplant von 20. bis 24. Mai, dem Virus zum Opfer. Die Entscheidung der Bundesregierung, alle Veranstaltungen bis Ende Juni zu untersagen, habe es leichter gemacht zu akzeptieren: „Das war eine klare Ansage, da weiß man was man zu tun hat.“
Das erste seien Gespräche mit Künstlern und Sponsoren gewesen. Namhafte Firmen hätten gesagt „Wir müssen zusammenhalten“ und trotz Absage des Festivals ihren Sponsor-Betrag überwiesen, erzählt Elisabeth Schneider. „Dennoch reißt die Absage ein riesiges Loch ins Budget. Wie groß, wird man erst am Ende des Jahres sehen, weil man ja nicht weiß, wann es einen Wiederstart gibt.“
Sie hätte in dieser Spielzeit für die Paul Hofhaimer Tage so viele Sponsoren gewonnen, wie noch nie. Es sei alles „besonders rund“ gelaufen. Besonders schwer seien ihr die Anrufe bei den Künstlerinnen und Künstlern gefallen, aber auch diese hätten Verständnis gezeigt und Zusagen für die Zukunft gemacht: „Es war mir wichtig, in den Raum zu stellen, dass wir die geplanten Veranstaltungen nächstes Jahr so weit wie möglich nachholen.“
Vielen der aktuellen online-Initiativen von Veranstaltern oder Künstlern sieht Elisabeth Schneider eher mit gemischten Gefühlen „Jeder bemüht sich um digitale Präsenz. Aber da steckt für mich oft auch die Verzweiflung dahinter 'Wenn wir nichts tun, dann gibt es uns nicht'.“ Auch den Digitalisierungs-Schub in Kunst und Kultur sieht Schneider kritisch: „Ein Stream ersetzt einfach nicht das live-Erlebnis...“
„Das Durchhalten und Kämpfen sind wir im Kulturbereich ja gewohnt. Da hat man sich gerüstet, ist mit einem Koffer voller Argumente in die Kulturabteilung gefahren, hat sich stark gemacht für seine Projekte“, schildert Elisabeth Schneider ihre optimistisch-kämpferische Grundhaltung. „Zur Zeit aber herrscht die unbegreifliche Situation, dass wir nur warten können – und hoffen, dass uns das Publikum verbunden bleibt.“ Aus Gesprächen könne sie „wohl darauf schließen, dass die Gefühle der Menschen ähnlich sind wie auf unserer Seite“.
Dass die Kulturabteilung des Landes unter Landesrat Schellhorn Förderungen sofort ausbezahlt und auch der Bund sich dem Festival in der kleinen Stadt im Pongau „sehr zugetan“ gezeigt habe, stärke ihr Vertrauen in die Kulturpolitik, betont Schneider. „Den Verantwortlichen in der Politik ist es ebenfalls wichtig, dass Kulturinstitutionen nicht zerfallen.“ Nachsatz: „Dass man Federn lassen muss, ist klar.“
Die Ungewissheit, was im Juli oder im August sein wird – oder nicht – sei eine komplett neue Erfahrung. Den 30. Radstädter Kunsthandwerksmarkt am 5. und 6. September bereite sie jedenfalls vor.
Eine der originellsten Initiativen landauf landab ist das Radstädter Strick-Projekt „Woll-Lust“, das heuer sein zehnjähriges Bestehen gefeiert hätte: „Wir wollten Fahnen für den Stadtturm stricken.“ Drei, vier Frauen pro Fahne hatten sich bereits zusammengetan, sie habe sich aufgemacht, das Material zu kaufen - „und da war das Wollgeschäft zu“. Zunächst hätten die Strickerinnen eigene Reste aufgearbeitet, alsbald wurde eine Woll-Hotline zur Radstädter Geschäftsfrau eingerichtet. So habe man das „Glück beim Stricken“ (so der Titel des Woll-Lust Blogs) herüberretten können bis zur Wieder-Öffnung.
Wie Wolle könnte man natürlich auch Bücher jederzeit überall bestellen. „Aber das wäre unfair gegenüber den hiesigen Geschäftsleuten“, betont Schneider. So habe sie den mobilen Bücherschrank – es ist eine rote Telefonzelle auf dem Stadtplatz – mit Büchern aufgefüllt, die Isolation zum Thema hätten. Etwa Die Arbeit der Nacht von Thomas Glavinic, Die Stadt der Blinden von José Saramago oder Die Wand von Marlene Haushofer – alle bestellt beim Radstädter Buchhändler.
Radstadt war auf dem Höhepunkt der Epidemie den zwischenzeitlichen „Quarantäne-Orten“ Flachau und Altenmarkt „sehr nahe“. Und wie große Orte war auch Radstadt vor der Wieder-Öffnung der Geschäfte einer Geisterstadt ähnlich. Die Kulturkreis-Leiterin hat ihr Büro am Margarete Schütte-Lihotzky-Platz, einem üblicherweise stark frequentierten Durchgang. „Wenn da über eine Stunde lang kein einziger Mensch zu sehen ist, bekommen Stille und Unbewegtheit eine fast bedrohliche Anmutung.“ Einmal habe sie alle Fenster zum Platz hin geöffnet und eine Aufnahme des Minetti Quartetts, das seit seinen Anfängen bei den Paul Hofhaimer Tagen zu Gast ist, erschallen lassen. Welches Werk? Schuberts „Tod und das Mädchen“.
So weit ist es mit dem Kulturkreis Das Zentrum noch lange nicht. „Der Vorstand trägt mit!“ Das Gebäude gehöre der Gemeinde, was Fixkosten reduziere, und sie, so Elisabeth Schneider, finde mit den Initiativen vom Strickprojekt zum Bücherkasten, vom Kino im Turm (jetzt nur als „Video on Demand-Club“) bis hin zum längerfristig entstehenden „Stadtporträt - Radstadt oben und unten“ genug Möglichkeiten „trotzdem den Faden zum Publikum und zu den Fördergebern nicht zu verlieren“.