Wechselbad der Gefühle
KULTURVEREINIGUNG / ORF RADIO-SYMPHONIEORCHESTER WIEN / WARD
10/02/23 Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, drei Tage zu Gast im Großen Festspielhaus, begeistert unter der Leitung von Duncan Ward mit „klassischer“ Moderne. Auf dem Programm Erstaufführungen von Gerhard E. Winkler und Mieczysłav Weinberg. Violasolist im Konzert von Bohuslav Martinů ist Nils Mönkemeyer.
Von Horst Reischenböck
Das Parterre war zwar etwas durchwachsen besetzt, dennoch waren die anwesenden Abonnenten am Konzertschluss wohl einer Meinung: Nämlich, dass es wert und bereichernd ist, sich auch einmal neuerer und sogar neuester Musik zu öffnen. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien ist ja ein österreichisches Aushängeschild in Sachen Moderne, wovon auch seine stets gefragte Mitwirkung bei den Festspielen im Sommer zeugt.
Bei der Kulturvereinigung war das RSO bis dato erst einmal zu Gast, in den späten Siebzigern mit einem Oratorium von Helmut Eder. Bei diesem wiederum studierte am Mozarteum der Komponist Gerhard Eduard Winkler: Sein Wert B-Beben für Orchester erklingt, drei Jahre nach der Uraufführung ebenfalls durch das RSO, nun dankenswerterweise auch in seiner Vaterstadt. In Auftrag gegeben worden war das Stück vom Wiener Konzerthaus zur Beethovenfeier 2020. Winkler ging es, eigenen Worten nach, um die Scherzo-Elemente des Vorbilds. Untermalt von pulsierend südamerikanischen Rhythmen blitzen dementsprechend aus unterschiedlich „bebend“ vibrierenden Stimmungen musikalische Zitate. Nicht nur Beethoven'sche: Das Hornquartett beschwört Romantik, aus der auch Mendelssohns Sommernachtstraum schlüpft. Das Schicksalsmotiv der Fünften setzt den abrupten Schlusspunkt. Das garantierte Zustimmung für Komponist und Ausführende.
Danach stiegen die Streicher des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien vollmundig ein in Bohulav Martinůs Rhapsodie-Konzert für Viola & Orchester. Neben neben Bartóks Werk ist dies das nachhaltigste Solokonzert für dieses Instrument. Es ist trotz unüberhörbar klassizistischer Ansätze ein Werk der Gegenwart: Angeregt wurde die Kompostion vom Solobratschisten des Cleveland Orchestra Joseph Weissman (in den USA dann Jascha Veissi), der, wie Jascha Heifetz und auch David Oistrach, aus der Ukraine stammte.
Der Bratschist Nils Mönkemeyer fand sich beim RSO unter der Leitung von Duncan Ward bestens aufgehoben. Die vornehmlich melancholisch aus Martinůs Exil von Heimweh bestimmten Züge seines Soloparts zeichnete er tonschön differenziert, doch aber gelegentlich auch eher sehr zurückhaltend. Zum Dank für die große Zustimmung spielte er Johann Sebastian Bachs Sarabande, elegisch introvertiert, und das zum Tanz einladende Menuet aus der Suite G-Dur BWV 1007
Nach der Pause läutete ein Glockenschlag die Symphonie Nr. 16 op.131 von Mieczysłav Weinberg ein. Das Werk ist der Erinnerung an die Mutter gewidmet: Als einzigem Familienmitglied war es Mieczysłav Weinberg gerade noch gelungen, zu Beginn des 2. Weltkriegs aus Polen in Richtung Sowjetunion zu flüchten. Eine Flucht vom Regen in die Traufe: Als Jude eingekerkert und kam er nur dank Stalins Tod frei. Dennoch blieb er der UdSSR zeitlebens dankbar, diese lobte und ehrte den Komponisten gegen Lebensende. Seine Kompositionen wurden, ähnlich wie die seines Freunds Schostakowitsch, misstrauisch angesehen, dennoch aufgeführt. Im Westen allerdings erst zögerlich. Gidon Kremer setzte sich als einer der ersten für den grandiosen Komponisten ein. Hier in Salzburg sind es der Verein WØD und die Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla, die Weinberg seit einigen Jahren ein eigenens Festival widmen.
Duncan Ward nich zu vergessen, der vorab in Weinbergs Werk einführte: Ihm als Briten sei bei den Proben der Gedanke an Monty Python gekommen, bei denen es auch immer hieß: „Und jetzt kommt etwas ganz Anderes!“ In diesem Sinne überraschte Weinberg mit sechs nahtlos aufeinander folgenden Abschnitten. Statt mit traditionellen Bichnungen werde das Tempo von der Dauer zu spielender Viertel- und Halbenoten bestimmt.
Dramatisch hämmernde Paukenschläge lösten eine lyrische Sequenz ab, die wieder in den Anfang zurückgleitet und dann in eine kämpferisch von den Streichern getragene Auseinandersetzung führt, akzentuiert durch schweres Blech. Dazwischen gibt’s eine tänzerische Episode mit Klarinettensolo, Harfe und Klaviereinwürfen. Alleingänge von Konzertmeisterin und erster Cellistin bieten erneut lieblichere Kontraste. Von den Meisterinnen und Meistern des RSO unter der engagierten Leitung von Duncan Ward perfekt umgesetzt. Auf das letzte, alles andere als heiter verdämmernde Piccolo-Solo folgte jubelnde Zustimmung. Und als Zugabe konsequent Jean Sibelius‘ Valse Triste.
Heute Freitag (10.2.) erkling an Stelle der 16. Symphonie von Weinberg die erste Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch – www.kulturvereinigung.com
Bilder: KV / Leopold