asdf
 

Sitzen bleiben oder aufstehen?

HINTERGRUND / EUROPA-HYMNE

17/02/23 „Wussten Sie schon, dass Beethovens Neunte ein Fräulein Stobeier aus Grinzing war“, fragte der Schriftsteller Robert Gernhardt verschmitzt. Aber vermutlich denken Sie unbeirrt an die Symphonie mit dem Chor-Finale – und damit an an die daraus entlehnte Europa-Hymne. Sie ist voriges Jahr fünfzig Jahre alt geworden. Karajan hatte seine Hand im Spiel.

Von Albrecht Haller

1972 erklärte das Ministerkomitee des Europarates ein bestimmtes, aus der Einleitung zum Chor-Finale abgeleitetes Arrangement zur Europa-Hymne. Mitte der 1980er Jahre übernahmen die Europäischen Gemeinschaften (die Vorläufer der heutigen Europäischen Union) die Hymne; erklärtes Ziel war der Gleichklang der Organisationen. Die völkerverbindende Europa-Hymne, im Vorjahr also fünfzig Jahre alt geworden, stammt eben nicht von der EU, sondern vom Europarat. Zu dessen Mitgliedern (derzeit 46) zählt übrigens seit 1995 auch die Ukraine.

Weithin unbekannt ist, dass an der Wiege der Europa-Hymne zwei Österreicher standen (und zwar ohne dass man den in Bonn geborenen Beethoven als Österreicher vereinnahmen müsste): Der eine war der ehemalige Außenminister Lujo Tončić-Sorinj (1915–2005). Er fungierte von 1969 bis 1974 als Generalsekretär des Europarates und unterstützte in dieser Zeit tatkräftig das wachsende Bestreben zur Schaffung einer Europa-Hymne.

Der andere Österreicher war ein ehemaliger Schulkollege aus Salzburg: Herbert von Karajan (1908–1989). Er erstellte im Auftrag des Europarates das Arrangement, und zwar als Instrumentalwerk ohne Text, weil die Einigung der Mitgliedstaaten auf einen deutschen Text illusorisch gewesen wäre. Karajan dirigierte die Uraufführung und veröffentlichte die Europa-Hymne in einem Musikverlag und auf Schallplatte.

In jüngerer Vergangenheit wird zunehmend diskutiert, ob es sich bei Karajans Beethoven-Arrangement um eine Bearbeitung im urheberrechtlichen Sinne handelt. Karajan hat das vehement bejaht und für die Anmeldung seines Arrangements im weltweiten System der Verwertungsgesellschaften gesorgt. Die Folge ist, dass bis heute etwa öffentliche Aufführungen oder Rundfunksendungen der Europa-Hymne Tantiemen an Karajans Rechtsnachfolger und Verleger fließen lassen. Kritiker argumentieren, Karajan habe das Beethoven’sche Original nicht schöpferisch, sondern bloß handwerklich umgestaltet. In diesem Fall gäbe es kein Bearbeiter-Urheberrecht, und man dürfte die Europa-Hymne bewilligungsfrei und unentgeltlich nutzen. Sollte die Frage einmal vor Gericht landen, hätte das in Österreich eine gewisse Tradition: Unsere Bundeshymne hat schon zweimal sogar den Obersten Gerichtshof ausführlich beschäftigt.

Aufregung entstand im Jahr 2000 um die Frage, ob man sich beim Erklingen der Europa-Hymne erheben müsse. In einer schriftlichen Anfrage erkundigte sich ein Mitglied des Europäischen Parlamentes aufgebracht nach den Rechtsgrundlagen für das Aufstehen der Kommissionsmitglieder. Der damalige Kommissionspräsident antwortete gelassen: „So ist es normal, dass die Organe, einschließlich des Parlaments, die Hymne bei bestimmten Gelegenheiten spielen lassen und sich die Mitglieder der Kommission wie jeder Bürger, der dies möchte, erheben, um ihre Verbundenheit mit dem gemeinsamen Unterfangen unter Beweis zu stellen.“

Jede Wette: Die eine oder der andere im Europäischen Parlament sehnt sich gerade nach jener Zeit zurück, als man noch sitzen durfte, aber nicht musste.

Albrecht Haller ist Rechtsanwalt in Wien mit den Schwerpunktgebieten Urheberrecht, Markenrecht und Medienrecht. Der Musik-affine Jurist, der 1994 an der Wiener Musikhochschule das Konzertfach-Diplom für Blockflöte erwarb, ist Mitglied der Vorstände des Alte-Musik-Festivals Trigonale und der Ernst-Krenek-Institut-Privatstiftung. Zu seinen Veröffentlichungen zählen die Monographie „Music on demand. Internet, Abrufdienste und Urheberrecht“ (Orac/LexisNexis 2001) und Notenausgaben gemeinsam mit Michala Petri. – Eine Vorfassung des Textes erschien im Programmheft zu den Aufführungen der 9. Beethoven zum Jahreswechsel 2022/23 im Wiener Konzerthaus.
Wer gar nicht genug kriegen kann von der Europa-Hymne: Auf der Homepage des Europarats finden sich zahlreiche Varianten für allerlei Instrumente und in den unterschiedlichsten Stilrichtungen, sogar in Hip-Hop-Versionen und in folkloristischen Roma-Varianten – www.coe.int
Bild: Karajans Klavier-Variante ist bei Schott erschienen – www.schott-music.com

 

 

 

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014