asdf
 

Vielstimmiges Geschichtspanorama

LESEPROBE / CHRISTIAN LORENZ MÜLLER / ZIEGELBRENNEN

07/12/18 Ziegelbrennen ist eine weit ausgreifende Familiengeschichte, ein Chor aus vielen Stimmen, die scheinbar sprunghaft wechseln: zwischen der Zeit der faschistischen Ustascha-Diktatur in Kroatien während des Zweiten Weltkriegs, den Ereignissen der 1990er Jahre auf dem Balkan und der unmittelbaren Gegenwart. – Hier eine Leseprobe.

VON CHRISTIAN LORENZ MÜLLER

Das dumme Huhn dachte nicht daran, die Latte zu räumen, obwohl die Spachtelklinge gefährlich nahe an seine Krallen herankratzte. Mit vornehm gerecktem Hals blickte die Weiße Rosmarinka prüfend an, und es war, als erleuchtete ihr Gefieder den Dämmerschein des Stalls, denn an diesem nassen Apriltag fand weder durch die offenstehende Türe noch durch das Fenster viel Licht herein. Kein Zweifel, diese Henne kam sich genauso schön und besonders vor wie Esther Klärmann. Selbst im Sommer hatte die Jüdin weiße Handschuhe getragen, die nicht selten schmutzig geworden waren, wenn sie Rosmarinkas Krautköpfe geprüft hatte, ihre Melanzani oder ihren Salat. Bei wem sie jetzt wohl einkaufte? Lebte sie eigentlich noch in Poschega? Marica hatte Rosmarinka bei ihrem letzten Besuch erzählt, dass die Ustasche jetzt auch schon Halbjuden zum Ziegelbrennen schickten. Ziegelbrennen in einer Gegend, die bei einem Wetter wie heute in Sumpf und Schlamm versank, wie sollte das denn gehen?

Noch im letzten Sommer hatte Rosmarinka körbeweise Eier nach Poschega getragen, und im Herbst war sie immer ihre gestopften Gänse losgeworden, aber nun war sie schon seit Monaten nicht mehr in der Stadt gewesen. Es genügte, die Eier und die Butter ein Mal die Woche hinüber nach Sveti Ivan zu bringen, wo der Lastwagen der Wehrmacht für ein paar Stunden Station machte. Was die Kleinhäusler aus der Gegend auch brachten, es wurde unbesehen eingekauft.
Sie stoppte die Spachtel einen Fingerbreit vor den gelben Krallen der Weißen. Das Vieh begann mit dem Kopf zu rucken und ein leises „Gaaa, Gaaa" auszustoßen, das sich so unwillig anhörte, dass Rosmarinka in plötzlichem Zorn mit der Faust auf die Sitzstange hieb. Sofort flatterte das Huhn mit Gegacker in Richtung Türe, seine Flügel schnalzten über das Dach des Bruthäuschens, bevor es ins Freie flog. Noch als es längst draußen war, hing eine bauschig-weiße Daunenfeder in der Luft. Rosmarinka schaute zu, wie sie langsam auf den Boden schwebte und ihr weißes Leuchten von der feuchten Einstreu aufgesogen wurde, dann kratzte sie den restlichen Dreck von der Latte.
Eine halbe Stunde später war der Stall gesäubert. Die Schwiegermutter würde sehr zufrieden sein, sofern sie überhaupt zu einem Kontrollgang herauskam. Am Anfang war das anders gewesen, da hatte die Alte Rosmarinka während der Arbeit misstrauisch beobachtet. Manchmal hatte sie, den Rechen oder den Kochlöffel in der Hand, minutenlang auf die junge Frau eingeredet, ohne dass Rosmarinka etwas verstanden hätte, denn damals hatte sie noch kaum Deutsch gekonnt, und die Schwiegermutter sprach bis heute fast kein kroatisches Wort.

Mit den Eiern aus dem Bruthäuschen, die sie in einem Weidenkorb gesammelt hatte, trat sie zufrieden hinaus in den Nieselregen. Unter dem Fuhrwerk, das nahe dem Hühnerstall abgestellt war, glotzten ein halbes Dutzend Hennen hervor, die zurück ins Trockene wollten, unter ihnen auch die Weiße, deren Brustgefieder lehmfarben geworden war. Das nasse Wetter der letzten Tage hatte den Innenhof verschlammen lassen. Rosmarinka wollte gerade die erste Pfütze überstelzen, als sie Antons Stimme hörte. Sie wandte sich in Richtung Hoftor, wo der Bub aufgeregt durch einen Bretterspalt mit jemandem sprach.
„Du bist ganz schlimm. Ich weiß es genau. Du stiehlst in der Nacht die Hühner", rief Anton auf Kroatisch, als Rosmarinka eilig in seine Richtung lief. „Und den Kübel mit der Milch! Den hast du auch gestohlen."
„Mit wem redest du da? Anton!" Den Eierkorb an den Bauch gepresst, patschte Rosmarinka voll böser Vorahnungen am Radbrunnen vorbei. Der Dreck spritzte ihr hinauf bis zum Rocksaum, ohne dass sie es wirklich bemerkte.
„Mit mir!", kam es von draußen. „Mach das Tor auf, oder ich schneide dem Bengel den Kopf ab!"

Mit freundlicher Genehmigung des Otto Müller Verlags

Christian Lorenz Müller: Ziegelbrennen. Roman. Otto Müller, Salzburg 2018. 502 Seiten, 25 Euro. Auch als e-book erhältlich - www.omvs.at
Am Montag (10. 12.) liest Christian Lorenz Müller im Literaturhaus Salzburg aus seinem Roman Ziegelbrennen www.literaturhaus-salzburg.at
Bild: Johannes Amersdorfer/Otto Müller Verlag

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014