Unbekannt im eigenen Land
BUCHBESPRECHUNG / HEINRICH PFLANZL
23/11/12 Dem Mimen – und auch dem Opernsänger – flicht die Nachwelt sprichwörtlich keine Kränze. In einem Buch erinnert Robert H. Pflanzl, langjähriger Leiter der Opernschule an der Universität Mozarteum, an seinen Vater: Heinrich Pflanzl war Kammersänger der Dresdner Oper.
Von Horst Reischenböck
Er war Sohn von Otto Pflanzl. Der Volksdichter und „Bierversilberer“ der Stiegl-Brauerei wohnte in der Gstättengasse und war selbst einmal, in den Anfängen der Festspiele, unter Max Reinhardts Ägide, 1922, an Hugo von Hofmannsthals „Das Salzburger Große Welttheater“ beteiligt. Doch Heinrich Pflanzl sollte dann in seiner Geburtstadt nur mehr ein einziges Mal öffentlich singen, 1963, in Mozarts Requiem. Hatte ihn seine Heimat vergessen?
„Aus den Augen, aus dem Sinn“: Vielleicht war Heinrich Pflanzl daran auch insofern nicht ganz unschuldig, als er in gewisser Weise aufs falsche Pferd setzte und nach dem Zweiten Weltkrieg seiner Wirkungsstätte in der damaligen DDR treu blieb. Oder auch zu Stolz war, sich der Wiener Staatsoper anzudienen. Vergeblich auch wartete er darauf, dass ihn Salzburg rufen werde. – Wie auch immer: Eine solche Treue zum eigenen Haus, in diesem Fall zur Dresdner Oper, wirkt heute, da Sänger im Flugzeug mindestens so heimisch sind wie auf den Bühnenbrettern, wie eine Botschaft aus exotisch-fernen Zeiten.
Der legendäre Bass Richard Mayr sah in Kammersänger Heinrich Pflanzl seinen Nachfolger als Ochs auf Lerchenau in Richard Strauss Oper „Der Rosenkavalier“. Die Bandbreite seines Repertoires zeigt nicht nur die umfangreiche Auflistung aller von ihm gesungener Partien am Ende des Buches. Heinrich Pflanzl war geschätzt und wurde gerühmt von Koryphäen wie die Regisseure Walter Felsenstein, Wieland Wagner, Joachim Herz oder den Sänger Peter Schreier.
Von 1943 datieren – noch erhältliche – Aufnahmen als Komtur im „Don Giovanni“, Kuno in Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ und Burgvogt in Antonin Dvo?áks „Die Jakobiner“ aus Dresden. An der Festaufführung zur Eröffnung des Großen Hauses der Staatstheater, Ausweichquartier der zerbombten Semper Oper Dresden, verkörperte Heinrich Pflanzl 1948 den Don Fernando in Ludwig van Beethovens „Fidelio“. Aus demselben Jahr datiert auch seine Darstellung des 5. Juden in Strauss’ „Salome“, ein Jahr später des Savel Prokofyevich Dikoy in „Katja Kabanowa“ von Leoš Janá?ek. 1951 wiederum sang Pflanzl den Baculus in Albert Lortzings „Der Wildschütz“. Und war auch maßgeblich an am „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner bei den ersten Bayreuther Festspielen nach Kriegsende beteiligt: davon zeugt sein Alberich im „Rheingold“ und „Siegfried“ dirigiert von Herbert von Karajan, unter dem er auch zum selben Zeitpunkt ein einziges Mal den Fritz Kothner in „Die Meistersinger von Nürnberg“ gab. Der Sixtus Beckmesser wiederum blieb, wie auch sein Mitwirken an der „Götterdämmerung“, unter der Stabführung von Hans Knappertsbusch erhalten. Allesamt nach wie vor wert, gehört zu werden!
Dass der Weg von der Ausbildung in Wien über „die Provinz“ bis dahin nicht unbedingt reibungslos verlief, belegen zahlreiche Dokumente: Briefe, Tagebucheintragungen, Rundfunkinterviews sowie Rezensionen, mit denen Robert H. Pflanzl das Leben seines Vaters lebendig werden lässt. Der Mauerbau 1961 veranlasste ihn als Staatspreisträger der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, der zuletzt an der Staatsoper Berlin engagiert war, dem Regime unwiderruflich den Rücken zu kehren und sich in Großgmain niederzulassen. Als Interpret lange Zeit absent, war Heinrich Pflanzl nun dadurch auch „weg vom Fenster“. Immerhin lehrte er noch bis 1972 geraume Zeit am Mozarteum.
Den Sohn nicht, denn eine einzige Unterrichtsstunde hätte fast zum Eklat geführt. Dafür nun gelang es ihm mit diesem Kompendium, neben dem Lebensschicksal eines bedeutenden, ja retrospektiv betrachtet, absolut großen Sängers auch einen faszinierenden Einblick in geschichtliche Ereignisse, Zusammenhänger zu liefern.