Türkenstechen mit Kaiserin
BUCHBESPRECHUNG / HASMANN / HABSBURGS SCHRÄGE VÖGEL
05/03/19 Notorische Zechprellerei und wahnhafte Eifersucht. Liebesrasen und eheliche Bettflucht. Schönheitswahn und Magersucht. Eskapaden von schrullig bis tödlich... Die Rede ist von Habsburgern und Habsburgerinnen auf dem Kaiserthron oder im Lotterbett.
Von Heidemarie Klabacher
Das Tun und Treiben der „Reichen und Schönen“ findet ja seit jeher Aufmerksamkeit des gemeinen Volkes. Wird schon zu Ramses' Zeiten so gewesen sein. Nur war früher alles besser. Auch Klatsch und Tratsch und vor allem deren Protagonisten. Was sich heutzutage auf dem Marktplatz der un-sozialen Medien tummelt, saß früher wenigstens auf Kaiserthronen.
Selbst wenn der Zickenkrieg zwischen den Schwiegertöchtern der Queen noch immer Goldenes Blatt-tauglich ist. Selbst wenn die Outfits einer Kate Middleton – heute Catherine, Duchess of Cambridge – von der Plebs in Billigvarianten kopiert oder gar im Original bei Marks&Spencer nachgekauft werden. Also: Selbst wenn die Royals des Nördlicheren Europa noch immer tapfer ihre Stellung in den Seitenblicken halten, heißen die wahren „Influencer“ von heute dennoch Kylie Jenner oder Cristiano Ronaldo. Was diese Leute tun oder treiben, scheint alle Welt zu interessieren und die Welt zahlt auch noch dafür, darüber informiert zu werden, welches Mineralwasser oder Toilettenpapier Kim oder Beyoncé bevorzugen.
Das hätte es zu Kaisers Zeiten (egal welchen Jahrhunderts oder welcher Linie) nicht gegeben, dass der Hof sich für die Bekanntgabe intimer Interna bezahlen lässt. Au contraire! Was hat man nicht alles getan, um größere oder kleinere Peinlichkeiten zu vertuschen. Oder zu verstecken, wie etwa den homosexuellen Kaisers-Bruder Ludwig Victor auf Schloss Klessheim.
Gabriele Hasman hat in ihrem Buch Habsburgs schräge Vögel. Extravaganzen und Allüren eines Herrscherhauses Skandale und Skandälchen, bekannte und weniger bekannte Anekdoten aus der Familiengeschichte der Habsburger zusammengetragen – kreuz und quer über durch die Jahrhunderte springend und beliebige Schwerpunkte setzend wie Magie, Geisterglaube und Hellsicht, Sado-Maso-Habsburger oder Wahnsinn und Wahn, die inhaltlich ohnehin nicht zu trennen sind von Aspekten wie Amouröse Eigenwilligkeiten und sexuelle Eskapaden oder Ticks, Zwangsneurosen, Phobien und Süchte. Habsburger waren also entweder verrückt oder sexsüchtig oder beides? Und gilt das noch? Es gibt ja noch welche...
Selbst für ein reines Unterhaltungswerk ohne jeglichen wissenschaftlichen Anspruch ist die völlige Abwesenheit von Struktur und Systematik im immerhin historischen Kontext negativ ins Auge stechend. Fast schon ärgerlich sind die zahlreichen Tippfehler. Hat der Verlag es nicht für nötig empfunden, der bunt zusammen gewürfelten Anekdoten-Sammlung auch nur ein einen Hauch von Sorgfalt - etwa in Gestalt eines zumindest korrekturlesenden Lektorates - zukommen zu lassen? Schade, denn am Reiz vieler Geschichten und Geschichten ist ja nicht zu deuteln. Klatsch mag jeder, selbst wenn er dreihundert Jahre alt ist. Und das mit dem Türkenstechen im Damenkarussell unter Beteiligung Maria Theresias bewegt uns Salzburger besonders: Haben wir doch ein solchesTürkenstechen im Herzen des Festspielbezirkes als monumentales Fresko im Karl Böhm-Saal tagaus, tagein über unseren Köpfen. Ob die abgemalten Köpfe oben auch aus Pappmaché waren?