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Nur der Mensch will Menschenopfer

BUCHBESPRECHUNG / NEUHARDT / NUR DIE STILLE STILLT

17/12/18 Johannes Neuhardt untersucht die Sockel, auf denen die Standbilder von Göttern und Helden stehen: Mit seinen Grabungen unter den Fundamenten unserer Kultur eröffnet der Theologe erstaunlich „konfessionslose“ Denkwege zurück zum Christentum.

Von Heidemarie Klabacher

Gerade, wo man glaubt, halbwegs „daheim“ zu sein, sind die Überraschungen groß. Davon, dass Orpheus als einziger Sterblicher aus der Unterwelt zurückgekehrt und am Verbot des „Sich-Umschauens“ gescheitert ist, erzählen Michael Köhlmeier und Johannes Neuhardt. Doch der Theologe geht einen Schritt weiter, als der Dichter. Orpheus kommt zurück und lehrt die Menschen, „wie man von den Mächten des Hades Erlösung“ finden könne: „Die grundsätzlich negative Einschätzung des Todes, die die Griechen ursprünglich hatten, wurde durch Orpheus total umgewandelt.“

Daraufhin wird man auf jeden Fall die nächste Gluck-Neuinszenierung abklopfen. Was aber so richtig verblüfft aus der Feder eines emeritierten Domdechanten, Prälaten und hohen katholischen Würdenträgers, ist die Deutung des Satzes „Hinabgestiegen in das Reich des Todes“ aus dem katholischen Glaubensbekenntnis: „Das ist der größte Triumph griechischer Orphik im Neuen Testament. Der auferstandene Jesus ist der neue Orpheus, der zurückkommt mit seiner Beute.“ Das erzählt Johannes Neuhardt bildkräftig, aber mit leichter Hand: „Denn die Darstellung vom Abstieg ins Totenreich, die vor allem in der Ostkirche bekannt ist, auf der Christus die Tore des Hades aufsprengt und alle Menschen, die seit Adam und Eva gelebt haben, als seine Beute aus dem Kerker der Unterwelt herausführt, das ist das wahre Osterbild.“

Jetzt ist aber bald Weihnachten. Da heißt es nur eine Seite weiterlesen: „Jedem der das christliche Kirchenjahr feiert, ist es zum wiederholten Male aufgefallen, dass wir das Weihnachtsfest zweimal begehen (Echt? Anm.): am 25. Dezember die Geburt und am 6. Jänner die Erscheinung des Gottessohnes.“ Damit führt Neuhardt zurück zur Hauptfigur des Kapitels Vom Lichtglanz geblendet, das ganz dem Gott Dionysos gewidmet ist (während Orpheus nur „als eine Gestalt im Kielwasser des Dionysosmythos zu finden“ sei). Im Morgengebet vom 6. Jänner heißt es „… die Weisen eilen mit Geschenken zur königlichen Hochzeit, Wasser wird in Wein gewandelt und erfreut die Gäste“. Das weise, so Johannes Neuhardt, darauf hin, dass es nicht anders möglich war, den „noch immer lebendigen Dionysoskult zu integrieren, denn seine Epiphanie, sein Erscheinen, war am Dionysos-Hochfest des 6. Jänner noch allgegenwärtig.“

Das – nur von Format und Seitenzahl her – kleine Buch Nur die Stille stillt. Mythos Mysterium Mystik, erschienen im Verlag Müry Salzmann, versammelt Vorträge, die Johannes Neuhardt über die Jahre vor den „Freunden der Salzburger Festspiele“ gehalten hat. (Der Titel ist Teil eines etwas präteniösen Heidegger-Zitates: Die Stille stillt, indem sie Welt und Dinge in ihr Wesen austrägt.)

Jedenfalls gibt es, nicht nur nur im  Kapitel Mit dem Christentum werde ich nicht fertig. enge Bezüge zu den Festspielen, die 2010 etwa die Uraufführung von Wolfgang Rihms Dionysos. Eine Opernphantasie nach Texten von Friedrich Nietzsche herausgebracht haben. Auch hier setzt Johannes Neuhardt Streiflichter, zitiert etwa den „tollen Menschen“, der in die Menge springt: „Wohin ist Gott?, rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ich getötet – ihr und ich!“ Es ist eine so kundige wie geradezu bewegende, um Verständnis werbende Apologie, die Johannes Neuhardt dem letztlich wahnsinnig gewordenen Friedrich Nietzsche widmet: „Du bist frömmer als du glaubst mit einem solchen Unglauben.“

So einer, der frömmer ist, als er glaubt, ist der Salzburger Jedermann. Geradlinig und für jeden Nicht-Theologen nachvollziehbar, analysiert der große Theologe und Literaturkenner Neuhardt die Entwicklung des reichen Sünders. Glaubenssätze zu kennen, ist ebenso wenig erlösungsstiftend, wie das In-die-Schale-Werfen (im Falle Jedermanns: allzu weniger) guter Werke. Erlösung kann stattfinden, wenn der Mensch seinem Gott den Erlösungswillen endlich abnimmt, ihn einfach machen lässt, sozusagen: Mit Anleihen bei Zeugen von Kant bis Handke erzählt Johannes Neuhardt von der „Liebeserklärung Gottes an die Welt“.

„Naturgemäß“ besonders theologisch ausgefallen ist der Text über die Lukaspassion von Krysztof Penderecki, die im Festspielsommer 2018 am 20. Juli die Ouverture spirituelle eröffnete. Unbequem aktuell ist eine zentrale Aussage im Text zum Thema der Pfingstfestspiele 2013 Opfer: Nicht Gott sei es, der, wie in den antiken Religionen durch Opfer gnädig gestimmt werden müsse: „Wir sind es, die Menschen aussondern und in die Opferrolle drängen. Wir brauchen scheinbar einen Sündenbock, der von uns selbst ablenkt.“

Johannes Neuhardt: Nur die Stille stillt. Mythos Mysterium Mystik. Verlag Müry-Salzmann, Salzburg 2018. 90 Seiten, 19 Euro – www.muerysalzmann.at
 Zur Leseprobe Löser der Zunge, Erlöser der Herzen

 

 

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