„Nach dem Unrecht kommt die Gewalt“
HINTERGRUND / HALLEIN / AGNES PRIMOCIC
12/05/23 Von den „Tschikweibern“, also den Arbeiterinnen in der Halleiner Zigarrenfabrik, wurde sie die Bekannteste: Agnes Primocic (1905-2007). Hallein ist der zweite Ort des Gedenkens , und da ist logischerweise diese Widerstandskämpferin eine Symbolfigur.
Mit dem temporären Kunstprojekt Unterwegs mit Agnes Primocic (und Gefährt*innen) von Kathi Hofer, einem umfassenden Veranstaltungsprogramm und pädagogischen Vermittlungsangeboten für Schulen wird man sich in Hallein heuer mit dem Wirken von Agnes Primocic auseinandersetzen und dieses mit gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart in Verbindung bringen. Der Auftakt ist morgen Samstag (13. Mai).
Als Sechzehnjährige begann Agnes Primocic in der Halleiner Zigarren- und Tabakfabrik zu arbeiten. Als Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs beteiligte sie sich an der Roten Hilfe für in Not geratene Familien politisch Verfolgter und leistete schon sehr früh aktiven Widerstand gegen den einsetzenden Austrofaschismus.
Während dieser Zeit organisierte sie als Betriebsrätin einen Streik in der Tabakfabrik und wurde in der Folge entlassen. Wegen des Besitzes kommunistischer Bücher, einer Flugzettel-Aktion ihres damals zwölfjährigen Sohnes und auf Grund der politischen Tätigkeit ihres Bruders wurde Agnes Primocic bereits in der Zeit vor dem Anschluss Österreichs mehrmals eingesperrt und verbrachte insgesamt ein knappes Jahr in Haft.
Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich wurde Primocic wegen ihres politischen Engagements von der Gestapo mehrfach verhört und bis 1945 weitere drei Mal inhaftiert. Sie blieb trotzdem aktiv, unterstützte Widerstandsgruppen und sammelte Geld für die Familien politisch Verfolgter. Obwohl sie für ihre beiden weiteren Kinder zu sorgen hatte, half sie dem oberösterreichischen Widerstandskämpfer Sepp Plieseis bei seiner Flucht aus dem KZ. Ihren Widerstand gegen die Nationalsozialisten begründete sie Jahre später damit, dass sie ihr Leben lang kein ruhiges Gewissen mehr haben hätte können, wenn sie einfach weggeschaut hätte, als Menschen in Not um ihre Hilfe baten. „Man muss anfangen, wenn Unrecht geschieht, denn nach dem Unrecht kommt die Gewalt“.
Nach 1945 war Agnes Primocic weiterhin politisch tätig, unter anderem als Landessekretärin der KPÖ in Salzburg. Als Halleiner Stadträtin für Fürsorge engagierte sie sich vor allem für den Aufbau von Kindergärten und die sozialen Rechte der arbeitenden Bevölkerung.
1984 erzählte Agnes Primocic in dem Film Küchengespräche mit Rebellinnen erstmals über ihre Widerstandstätigkeit und auch in dem 1985 erschienenen Buch Der Himmel ist blau. Kann sein. berichtet sie ausführlich über ihr Leben. Nach dem Erscheinen dieser beiden Beiträge begann sie – fast 80-jährig – mit einer regen Tätigkeit als Zeitzeugin, vor allem auch in Schulen.
Nicht stillhalten, wenn Unrecht geschieht heißt ein 2004 von den Akzenten Salzburg herausgegebenes Buch über Agnes Primocic. Den gleichen titel hatte auch eine ORF-Dokumentation, die 2005 erstmals ausgestrahlt wurde.
Festakt morgen Samstag (13.5.) um 10 Uhr, Schöndorferplatz, Hallein. Bei Schlechtwetter Sitzungssaal Kolpinghaus. Im Anschluss an die Eröffnung bieten Michaela Meise und Wolfgang Wintersteller Interessierten eine (Ein-)Führung zu ihren Hörspaziergängen, die im Rahmen des Kunstprojekts von Kathi Hofer realisiert wurden – www.ortedesgedenkens.at
Bilder: Filmstill „Nicht stillhalten, wenn Unrecht geschieht“ (2); www.ortedesgedenkens.at (1)